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20. Mai 2009, 10:00 Music Interview

Interview mit Simple Minds

Silvan Gertsch - Sie begannen als Punks, wurden zu einer der erfolgreichsten Pop-Bands der 80er-Jahre und beziehen politisch klar Stellung. Diesen Freitag erscheint "Graffiti Soul", das neue Studioalbum von Simple Minds. Sänger Jim Kerr spricht im Interview mit Students.ch über verlorene Glaubw...

Sie begannen als Punks, wurden zu einer der erfolgreichsten Pop-Bands der 80er-Jahre und beziehen politisch klar Stellung. Diesen Freitag erscheint "Graffiti Soul", das neue Studioalbum von Simple Minds. Sänger Jim Kerr spricht im Interview mit Students.ch über verlorene Glaubwürdigkeit, seine erste Band und starke Motoren.

In den englischen Medien liest man, dass deine Band dank des neuen Albums ihre Glaubwürdigkeit zurück hat. Habt ihr die je verloren?

Jim Kerr: Das ist nett von dir. Viele Leute würden sagen, dass wir unsere Glaubwürdigkeit verloren hatten.

Du gehörst aber nicht zu denen?

Man muss definieren, was Glaubwürdigkeit bedeutet. In einer 30-jährigen Karriere ist man grossen Schwankungen ausgesetzt. Nicht alles verläuft so, wie gewünscht. Aber das macht es ja interessant. Manchmal muss man den verbotenen Weg in die Einbahnstrasse nehmen, die falsche Abzweigung wählen, um an einen spannenden Ort zu gelangen. Was diese Medien also vertreten, ist eine Meinung. Ich verstehe, was sie damit sagen wollen. Sie machen es sich aber auch sehr leicht mit dieser Aussage.

Man könnte sie auch so deuten, dass euer neues Album ein Neubeginn ist.

Ein Neubeginn war es nicht. Aber man muss das Ganze in einen Kontext einbetten. Sechs, sieben Jahre zuvor war alles hoffnungslos. Wir hatten keine Ideen, keine Energie, kein Vertrauen. Wir wären damals nicht in der Lage gewesen, ein Album von der Qualität aufzunehmen, wie wir es mit "Graffiti Soul" getan haben. Von einem Neubeginn würde ich aber nicht sprechen, eher von einem Momentum.

Ihr seid zu den Rockfield Studios zurückgegangen, wo ihr 1979 bereits ein Album aufgenommen habt. Hat sich dort viel geändert in dieser Zeit?

Dort hat alles noch genau gleich ausgesehen wie vor 30 Jahren. Ich glaube, nicht mal der Lichtschalter hat gewechselt. (lacht) Es war aber nicht unsere Absicht, damit zurück zu unseren Wurzeln zu kehren. Es gibt schlicht und ergreifend kaum mehr Studios heutzutage. Die Rockfield Studios sind sehr alt, die Musik klingt dort grossartig. Wir haben uns nach wenigen Stunden schon wohl gefühlt. Normalerweise dauert das Tage.

Und wenn du Simple Minds von heute mit der Band, die vor 30 Jahren in dieses Studio gelaufen ist, vergleichst: was hat geändert?

Eine Menge Erfahrung ist dazu gekommen. Vor 30 Jahren waren wir wie Jungs, die aufgeregt ins Studio gegangen sind und die Sache so schnell wie möglich durchziehen wollten, weil uns die Plattenfirma im Nacken sass und wir die Kosten im Griff haben mussten. Dieses Mal wussten wir von Anfang an: Es funktioniert. Wir kamen gut vorbereitet ins Studio und wussten, was uns erwartet. Uns trieben starke Motoren an, die lange Zeit gefehlt hatten.

Eure Songs sind in ganz Europa entstanden. Hat sich das aufs Album ausgewirkt?

Es hatte keinen direkten Einfluss auf die Musik. Wir haben in der Vergangenheit schöne Songs an dreckigen Orten geschrieben. Genauso, wie wir auch an schönen Orten mit Schreibblockaden gesessen sind. Wenn man Plätze findet, an denen man sich wohl fühlt, hat man normalerweise mehr Energie. Das war dieses Mal der Fall. Diese Energie ist in allen Songs hörbar.

Blicken wir zurück: Vor Simple Minds habt ihr die Punkband Johnny And the Self Abusers gegründet. Was für Erinnerungen hast du an diese Zeit?

Fantastische Erinnerungen – aber nicht in musikalischer Hinsicht. Musikalisch waren wir ein Witz. Aber ohne Johnny And the Self Abusers wären wir bei Simple Minds nie so weit gekommen. Die Zuschauer drehten an den Konzerten von Johnny And the Self Abusers durch. Da merkten wir, dass es Spass machen könnte, auf die Musik zu setzen. Vor wenigen Wochen ist mir etwas lustiges passiert. Ich war in Glasgow und habe mich vor einem Club mit jemandem unterhalten. Auf einmal kam ein Typ zu uns, der zu mir sagte, dass er mir ein paar der schönsten Konzerterinnerungen verdanke. Da wollte ich wissen, welche Simple-Minds-Shows er gesehen habe und er meinte nur: "Nicht die fucking Minds. Ich spreche von Konzerten von Johnny And the Self Abusers!" Ich verstehe ihn. Damals hat es in Glasgow nichts vergleichbares wie uns gegeben. Es war verrückt – und "rubbish" zugleich.

Was für eine Art Punk warst du?

Ich bin mit progressiver Musik aufgewachsen. Mit Bands wie Genesis und Yes. Gleichzeitig habe ich aber auch Lou Reed, Iggy Pop, Patti Smith, die Ramones und die New York Dolls geliebt. Die hatten viel mit Strassenpoesie am Hut. Ihre Musik klang so, als ob sie jeder nachspielen könnte. Da spürte man etwas raus, was jeder von uns in sich trägt. Aber wir waren mehr an der Indie-Seite des Punks interessiert, nicht am Lifestyle, wie ihn zum Beispiel The Clash verkörperten.

Geht der Titel eures neuen Albums, "Graffiti Soul", zurück zu dieser Zeit der Strassenpoesie?

Ja, ein Stück weit auf jeden Fall. Ich möchte im nächsten Jahr ein Projekt umsetzen, das "Lost Boy" heisst. Viele Leute versuchen mich zwar davon abzuhalten, aber das werde ich durchziehen. Einen Teil aus "Graffiti Soul" habe ich mit meiner Zeit als 17-Jähriger verbunden, mit meiner damaligen Mentalität. Diesen verlorenen Jungen lässt man zwar zurück, aber man wird ihn nie ganz los. Irgendwo in "Graffiti Soul" ist er noch vertreten. Ich werde das weiter verfolgen.

"Graffiti Soul" gehe auf Themen wie Reisen, Abschied und Wiedersehen ein. Das tönt sehr optimistisch. Ist das Album optimistisch?

Simple Minds sind optimistisch. Aber die Dunkelheit mögen wir auch, das hört man besonders gut im ersten Song auf dem Album. Aus dieser Dunkelheit finden wir den Weg ins Licht. Charlie [Gitarrist bei Simple Minds] wollte zwar nicht mit dem Song beginnen. Ich war aber überzeugt, dass wir genau wegen dieses Wechsels das Album so lancieren sollten.

Ihr habt in der Vergangenheit für Nelson Mandela und am Live Aid gespielt. Wie wichtig sind euch solche Auftritte, um politisch Stellung zu beziehen?

Ich hatte meine Zweifel, ob diese Konzerte wirklich etwas bewirken. Aber ich bin so aufgewachsen, dass man helfen muss, wenn man helfen kann. Und ich habe gelernt, was falsch und unfair heisst. Ich weiss, was Menschenrechte sind. Als wir angefragt worden sind, für Nelson Mandela zu spielen, haben wir keine Sekunde gezögert. Er hat mal etwas sehr schönes zu uns gesagt. Als es verboten gewesen sei, laut zu protestieren, habe er immer die Stimmen der Künstler gehört. Die Stimmen der Musiker, Maler, Journalisten. Dies habe ihm Mut gegeben.

www.simpleminds.com

"Graffiti Soul" von Simple Minds erscheint am 22. Mai 2009.

Simple Minds live: 12. Juli am Live At Sunset

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