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23. November 2009, 00:00 Movie

Tannöd

Gregor Schenker - 2006 landete Andrea Maria Schenkel mit ihrem preisgekrönten Roman-Debüt Tannöd einen Überraschungshit und auf den Bestsellerlisten – das Buch handelt (frei nach einem realen Fall von 1922) von einem Mehrfachmord in den Fünfzigern, bei dem im bayerischen Hinterland der ganz...

2006 landete Andrea Maria Schenkel mit ihrem preisgekrönten Roman-Debüt Tannöd einen Überraschungshit und auf den Bestsellerlisten – das Buch handelt (frei nach einem realen Fall von 1922) von einem Mehrfachmord in den Fünfzigern, bei dem im bayerischen Hinterland der ganzen Familie Danner mit einer Spitzhacke der Garaus gemacht wird. Es fiel der Schweizer Regisseurin Bettina Oberli (die mit der Komödie Die Herbstzeitlosen den erfolgreichsten eidgenössischen Film seit Die Schweizermacher, davor aber auch das das Drama Nordwind inszenierte) und der Drehbuchautorin Petra Lüschow (Nachbeben) zu, den Roman für die Leinwand zu adaptieren.

Das Problem: Das Buch ist keine Erzählung im eigentlichen Sinne, sondern liest sich wie ein Sachbericht mit Interviews und fiktiven Einsprengsel, aber ohne feste Hauptfigur. Bei der Verfilmung hat man sich damit beholfen, dass man aus der impliziten Erzählinstanz eine Protagonistin macht:
Kathrin (Julia Jentsch), die seit ihrer Kindheit in der Stadt lebt und inzwischen als Krankenschwester arbeitet, kehrt zwei Jahre nach dem schrecklichen Mordfall auf dem Tannöd-Hof in ihr Heimatdorf zurück, um ihre an Krebs verstorbene Mutter zu beerdigen. Sie begegnet der alten Traudl (Monica Bleibtreu in einer ihren letzten Rollen vor ihrem Krebstod), deren Schwester damals als Magd bei den Danners war und ebenfalls ermordet wurde – inzwischen verbringt sie (also Traudl) ihre Zeit damit, der Dorfbevölkerung ins Gewissen zu reden, welche die ganze Sache am liebsten einfach vergessen würde, auch wenn der Mörder nie gefasst wurde. Dabei muss es einer aus ihren Reihen gewesen sein; jedenfalls hatte manch einer ein Hühnchen mit dem alten Danner zu rupfen, der ein notorischer Geizhals und Streithammel war und schon mal auf den Nachbarn schoss oder wegen einer Porto-Nachzahlung den Hund auf den Postboten hetzte. Nach und nach kommt Kathrin den Hintergründen auf die Spur und muss feststellen, dass sie selbst mehr mit der Sache zu tun hat, als sie jemals gedacht hätte…

Das Problem des Filmes ist, dass wir mit Kathrin zwar eine Hauptfigur haben, diese aber nicht mehr als ein passives dramaturgisches Hilfsmittel ist: Alles wird ihr zugetragen (es hat schon etwas unfreiwillig Komisches, wie ihr diese angeblich verschwiegenen Dörfler alle immer wieder aus heiterem Himmel das Herz ausschütten), sie handelt niemals aktiv. Dementsprechend ist auch das Ende unbefriedigend (sie findet zwar heraus, wer der Mörder ist, zieht aber keinerlei Konsequenzen daraus, als wieder abzureisen; auch die unvermeidliche Liebesgeschichte verläuft ins Leere) und wirkt Jentsch (Sophie Scholl – Die letzten Tage) in ihrer Rolle ziemlich farblos. Monica Bleibtreu (Der Hurenstreik – Eine Liebe auf St. Pauli) wiederum geht nicht nur den Dörflern, sondern auch dem Zuschauer auf die Nerven, ganz grandios ist aber Vitus Zeplichal (Satansbraten) als alter Danner, ein Ekelpaket vor dem Herrn, das sich neben allem anderen auch noch wie eine Art Proto-Fritzl an seiner Tochter vergreift und zwei Kinder mit ihr zeugt.

Die Charakterisierung der Figuren nimmt sich dabei etwas greller aus als im diesbezüglich ambivalenteren Roman, die Dörfler erinnern an Hinterwälder à la The Texas Chainsaw Massacre oder Calvaire – Tortur des Wahnsinns. Aus dem neutralen Sachbericht wurde bei der Verfilmung sowieso eine Art Horrorfilm: Die Bilder von Oberlis Stamm-Kameramann Stéphane Kuthy sind äusserst düster (zumindest in der Zeitebene des Mordes; die relative Gegenwart von Kathrins Rückkehr ins Dorf wirkt als Kontrast dazu sehr viel heller und freundlicher), die Filmmusik von Johan Söderqvist erinnert sicher nicht zufällig an dessen Arbeit für Let the Right One In. Die Morde selbst rufen schliesslich diverse Slasher-Filme ins Gedächtnis (grad letztens war auch der Killer in My Bloody Valentine 3D mit der Spitzhacke am Werk), beim schwarzen Hund der Danners (der später Kathrin wie eine Personifizierung des Bösen verfolgt) kommt einem sofort Das Omen in den Sinn. Das Sittengemälde im Schatten des Zweiten Weltkrieges, das sich im Buch noch findet, geht dabei etwas verloren,dafür gehen Oberli und Co. manchmal visuell die Pferde durch – wenn der Pfarrer an einer Kreuzung auf die Tochter Danners wartet, ist das zwar ein schönes Bild, macht im Rahmen der Handlung aber wenig Sinn (im Buch schaut sie ganz normal bei ihm im Pfarrhaus vorbei); unplausible auch, wenn sich in dem Mordhaus noch zwei Jahre später feuchtes Blut findet.

Fazit: Mit den ganzen Anleihen beim Horrorfilm ist Tannöd eine äusserst stimmungsvolle Angelegenheit, es lässt sich aber nicht verleugnen, dass der Film einige inhaltliche und erzähltechnische Schwächen hat, nicht zuletzt durch das Einpassen der Vorlage in ein herkömmliches dramaturgisches Muster. Ich spreche daher eine vorsichtige Guckempfehlung aus und lege eine Lektüre der (übrigens ziemlich kurzen) literarischen Vorlage nahe.


Bewertung: 3 von 5


  • Titel: Tannöd
  • Land: Deutschland
  • Regie: Bettina Oberli
  • Darsteller: Julia Jentsch, Vitus Zeplichal, Monica Bleibtreu
  • Verleih: Pathé Films AG
  • Start: 19. November 2009

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