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17. September 2013, 17:52 Kolumnen

Mein Nachmittag mit Christoph Blocher

Marco Büsch - Was macht man an einem langweiligen, verregneten Sonntag? – Ja genau, man hört sich einen Vortrag von Christoph Blocher an und isst anschliessend Ghackets mit Hörnli.

Die SVP Stäfa hatte zum kulturellen Anlass mit Christoph Blocher geladen und ganz viele ältere Menschen kamen – und ich. Oberhalb Stäfas fand in der Mehrzweckhalle «Halle für alle» ein lustiges Beisammensein statt, bei dem Christoph Blocher – oder wie die Besucher ihn liebevoll nannten «euise Christoph» – einen Vortrag hielt über drei Persönlichkeiten vom Zürichsee, welche weit über diesen hinaus einiges an Bedeutung für die heutige Schweiz gewonnen hatten (es waren dies Johann Caspar Pfenninger, Conrad Ferdinand Meyer und Karl Landolt). Eröffnet und abgerundet wurde dieser Event vom Solisten-Ensemble «La Compagnia Rossini», anschliessend gab es Ghackets mit Hörnli und einem guten Glas Stäfner Wein. Aber beginnen wir mit dem Anfang.

Den Anfang machte der Kleinbus, welcher vor dem Bahnhof Stäfa wartete und im 20-Minuten-Takt die Besucher zur «Halle für alle» hochfuhr. Bereits im Bus wurde mir und auch den anderen Gästen klar, dass ich wohl nicht so ganz in die Szene passte: Weder hatte ich das Hemd in die Hose gesteckt und diese bis weit über den Bauch nach oben gezogen noch trug ich eine Tracht, wobei dies sowieso den Damen vorbehalten war. Um ehrlich zu sein, ich hatte noch nicht einmal ein Hemd an, sondern nur ein Shirt. Und dazu eine Jeans. Ausserdem senkte ich den Altersdurchschnitt im Bus wahrscheinlich gleich um etwa 20 Jahre. Wobei, seien wir ehrlich, zusammen mit dem mittelalten Busfahrer waren es wahrscheinlich doch nur 15 Jahre. Jedenfalls passte ich eindeutig nicht ins übliche Bild des «Halle für alle»-Besuchers, was natürlich gleich ein Getuschel auslöste. Die Busfahrt dauerte zum Glück nur wenige Minuten. Trotzdem verstärkte sich mein physisches Unwohlsein, welches ja schon vorher mit jedem Schritt Richtung Bus zugenommen hatte.

Vor der Halle wurde man nett begrüsst und Fotos wurden gemacht, ich hoffte und hoffe auch jetzt noch inständig, dass mein Bild nirgendwo auftaucht, vor allem nicht im «Zürcher Boten», wobei den wahrscheinlich eh niemand liest, den ich kenne. Die Halle selbst war gut gefüllt mit älteren Menschen, zwischendrin fanden sich aber auch jüngere Kaliber wie Christoph Mörgeli, welcher ringsum Hände schüttelte und nette Worte von sich gab, ganz der Mann des Volkes, wie man ihn kennt. Ich setzte mich an den Rand eines Tisches neben einen älteren Herrn mit rotem Kopf und Schnurrbart, welcher sogleich den Platz wieder wechselte, er wolle «irgendwo dazwischen sitzen». Ein paar Musterungen von oben bis unten weiter, gelangte mein physisches Unwohlsein an einen neuen Höhepunkt und ein ungeheurer Drang, die Halle zu verlassen, gesellte sich dazu.

Zum Glück begann nun das Solisten-Ensemble mit seiner Vorstellung, welche damit endete, dass ein Kochrezept von Rossini vorgetragen wurde, was kaum weniger gut klang als die vorangegangenen Stücke. So selbstironisch wie in diesem Moment wurde die Veranstaltung leider nie mehr. Vielmehr trat der Präsident der Sektion SVP Stäfa ans Rednerpult, bedankte sich bei dem super Ensemble, bei der super Organisation und den super Leuten, die gekommen waren. Und danke Kari, danke Trudi und danke Ruedi und gute Besserung und einen lieben Gruss an die Frau! Und ein grosses Dankeschön natürlich auch an Christoph Blocher, seine Anwesenheit war natürlich auch super. Alles in allem hatte er einfach «schaurig dä Plausch».

Nun wurde es aber Zeit für den Auftritt des grossen Meisters: Und wie gewohnt polterte dieser gleich los, es sei umso wichtiger, die Heimat und ihre Menschen zu ehren in Zeiten, in denen die dort oben in Bern unser Land an die EU verkaufen wollten. Oder so ähnlich. Dann begann er mit der ersten Würdigung des Freiheitskämpfers Johann Caspar Pfenninger, welcher im 19. Jahrhundert Stäfa gegen das Zürcher Patriziat verteidigt hatte, welches dem fernen Stäfa seine Gesetze aufdrängen wollte – im Sinne fremder Richter. Der Bogen war dann schnell gespannt und ein Seitenhieb gegen die «classe politique» in Bern oben und die EU-Kommissare noch weiter oben konnte sich «unser Christoph» dann natürlich nicht verkneifen. Das Volk in der «Halle für alle» johlte und lachte wie auf Kommando. Im Schlusssatz beschwor Blocher dann, jede Zeit brauche ihren Pfenninger – wen er damit wohl meinte? Mancheiner munkelte vor sich hin, er könnte wohl sich selbst meinen... Vielleicht, vielleicht.

In der zweiten Würdigung ging es um Conrad Ferdinand Meyer, welcher zu den bedeutendsten Schweizer Dichtern des 19. Jahrhunderts gehört. Blocher zitierte mal leise und dann wieder sehr laut aus Gedichten Meyers, besonders aus dem einen, welches den Namen «Das weisse Spitzchen» trug. Nun war auch der letzte Senior wieder wach, der zuvor vielleicht kurz weggedöst war. Zum Glück, denn Blocher bot wie immer auch einiges fürs Auge mit seinen grossen Gesten, den geballten Fäusten und den weit auseinander gerissenen Armen – es war ein wahrer Plausch. Zum Ende wurde es aber auch ein bisschen traurig, denn Blocher erzählte auch von den Schattenseiten in Meyers Leben, von seinen Depressionen, welche auch seine Frau und seine Tochter heimsuchten. Zur Veranschaulichung zeigte er uns ein Bild, auf dem Meyer und seine Frau am Rande einer Parkbank sassen und die Tochter auf einer anderen Bank, auch am Rande. Blocher wies darauf hin, dass dies klare Anzeichen für Depressionen seien. Das Publikum war tief beeindruckt von dieser messerscharfen Analyse. Ich glaube, von «unserem Christoph» könnten die Wissenschafter auf dem Gebiet der Psychologie noch einiges lernen.

Der Maler Karl Landolt wurde als letztes gewürdigt. Landolt war ein guter Freund Blochers und hatte diesen auch für die «Ahnengalerie» des Kantons Zürichs porträtiert, was «unseren Christoph» sichtlich stolz machte (was zugegebenermassen ein bisschen rührend war). Blocher wies darauf hin, dass Landolt zwar kein Politiker war, aber durchaus politisch: So schrieb er einst gegen einen Pier an, welcher am Zürichsee gebaut werden sollte und verhinderte diesen erfolgreich, gemäss Blocher. Die Frage drängt sich auf, wie sich Landolt wohl zum geplanten Hafenkran geäussert hätte?

Zuletzt war dann wieder das Solisten-Ensemble mit einer Darbietung dran, welches gegen Ende von uns begleitet wurde, als wir alle zusammen «Es Buurebüebli mahni nid» sangen. Der Höhepunkt war aber, dass wir uns alle erhoben und gemeinsam lauthals die Schweizer Nationalhymne mitsangen. Ein erhabenes Gefühl des Schweizerseins überkam mich, dennoch konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Zum Glück hat es niemand gesehen. Zum Abschluss gab es dann noch ein Einheitsbrei aus Ghacktem mit Hörnli und Apfelmus aus Vier-Liter-Säcken und dazu ein Glas mässigen Stäfner Rosé. Es wurde ein wenig widerwillig angestossen, sich gezwungen angelächelt und dann schlang ich mein Essen hinunter, denn mittlerweile war mein physisches Unwohlsein an einem Punkt angelangt, wo ich keine weitere Minute mehr in dieser Halle verbringen konnte, ohne eine ernsthafte Schädigung davonzutragen. Ich verliess fluchtartig die Halle und fuhr mit dem Kleinbus zurück zum Bahnhof. Es war eine Erfahrung, ein Erlebnis, eine Bereicherung für meinen geistigen Horizont und aber ich will bitte nie nie wieder solch eine Veranstaltung besuchen!

Weitere Kolumnen gibt es auf meinem Blog nachzulesen: Hier!

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