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15. April 2014, 20:32 Kolumnen

Fernsehen macht blöd, aber auch Spass

Marco Büsch - Ich wollte eine Kolumne über das Fernsehen schreiben und welche Form wäre geeigneter, als eine wilde Aufzählung von verschiedensten Informationen – so, wie das Durchzappen beim Fernsehen. Ich wünsche gute Unterhaltung.

Gestern haben wir es geschafft und uns nach Monaten endlich ein Fernsehkabel zugelegt, womit wir nun fernsehen konnten. Auch damit die Billag-Gebühren amortisiert werden. Es kamen uralte «How I met your Mother»- und «Big Bang Theory»-Folgen, auf Deutsch. Dazu ein bisschen Promidinner, mit Promis, welche ich nicht kannte. Nach 20 Minuten musste ich den Fernseher wieder ausschalten. Das soll jetzt kein Billag-Fernsehen-TrashTV-Bashing werden, ich habe nur festgestellt, dass ich das Fernsehen in seiner eigentlichen Form nicht mehr brauche. Es folgt eine kleine Auflistung, was mir sonst noch zum Thema «Fernsehen» einfällt.

– Fernsehen nervt im Zeitalter des Internets so sehr, weil man nicht schauen kann, was man will, sondern schauen muss, was kommt. Mit Werbung. Synchronisiert. Wobei ich letztens auf sf.tv, pardon auf srf.ch, war und mir seit langem wieder einmal einen Tatort ansehen wollte, am Nachmittag. Funktioniert nicht: Tatort darf man erst ab 20:00 Uhr schauen, weil jugendgefährdend. Danke für diesen Schutz, wieso nicht einfach ein „Sind Sie schon 18 oder nicht“-Fenster? Das ist in etwa so wirksam wie eine Zeitschranke.

– Ich bin auf ein spannendes Paper eines gewissen Jeff Garmany von der University of Arizona gestossen: Er hatte ein Jahr in Pirambu verbracht, eine der gefährlichsten Favelas von Fortaleza, einer grösseren Stadt in einer der gefährlichsten Regionen von Brasilien, also ziemlich gefährlich. Er schrieb darüber, wie dort zu jeder Tages- und Nachtzeit der Fernseher laufe und ihn das ziemlich genervt habe. Bis ihm ein interessanter Aspekt betreffend des Fernsehschauens der Favela-Bewohner auffiel, beziehungsweise fiel ihm die Wirkung des Fernsehens auf. Obwohl in Pirambu keine Polizei anwesend ist, Drogenbanden das Gebiet regieren und die Menschen vom Staat kaum Unterstützung erhalten, sondern vielmehr dauernde Repressionen erfahren müssen, halten sich die meisten Bewohner trotzdem an die geltenden Gesetze. Garmany meint nun, dass dies deshalb so sei, weil sich die Bewohner der Favelas an den Nachrichten im Fernsehen orientieren würden, da diese erstens immer berichten würden, dass es in anderen Teilen der Stadt oder des Landes noch schlimmer zu und her gehe und zweitens, weil die Kommentatoren die Bevölkerung immer ins Gebet nähmen, selbst für eine bessere Gesellschaft zu sorgen mit mehr Wohlstand und Sicherheit. Der Staat getraut sich zwar nicht mehr in die Favelas, gibt aber so weiterhin per Fernsehen die einzuhaltenden Werte vor. Andere Studien haben auch schon ähnliche Schlüsse gezogen im Bezug auf die sinkende Geburtenrate in Brasilien: Da in Telenovelas, welche ein Grossteil der Bevölkerung sich ansieht, die Familien eher klein sind, orientieren sich viele Brasilianer daran und wollen nun auch eher kleinere Familien haben. Es gibt dazu auch Studien aus den USA, welche davon ausgehen, dass die Zahl der minderjährigen Mütter deutlich zurückgegangen ist, seit die MTV-Sendungen «16 and pregnant» und «Teen mom» über die Bildschirme flackern. Das sind sicherlich interessante Befunde, ich hoffe nur, dass wir uns hier wertetechnisch nicht alle zu sehr an Sendungen wie «Dschungelcamp» oder «Bachelor» orientieren, sonst könnte das dann ein wenig problematisch werden.

– Unter dem Motto «Fernsehen macht blöd, aber unglaublich viel Spass» zeigt der Fernsehmoderator Philipp Walulis in der nach ihm benannten Sendung «Walulis sieht fern» auf EinsPlus und NDR (und auf youtube), wie Fernsehen gemacht wird. Da wird so ziemlich jede Art von Sendung auf die Schippe genommen. Vom «Tatort» zu «Bauer, ledig, sucht Frau» bis zu den Dauerwerbesendungen wird alles durchanalysiert und auf der Metaebene zerstückelt. Das macht Spass, denn die Medienparodie und Satire ist gut gemacht, sympathisch moderiert und hat zudem 2012 den Grimme-Preis gewonnen. Nur, um dann beinahe abgesetzt zu werden; war wohl ein wenig zuviel der Ehrlichkeit für die Intendanten des deutschen Fernsehens.

– Zum Schluss empfehle ich einen meiner Lieblings-Channels auf youtube, welcher auf diese Weise sicher nie im Fernsehen laufen würde: «Shore, Stein, Papier». Das Konzept ist denkbar einfach: Ein Heroinsüchtiger aus Hannover erzählt seine Lebensgeschichte mit seinen wenigen Hochs und vielen Tiefs. Dabei sitzt der gute Mann ganz einfach an einem Holztisch, raucht, trinkt Kaffee, ist mal gut drauf, ein andermal sieht man ihm an, dass er wohl einen Rückfall hatte, und erzählt aus seinem Leben, als würde er es nicht der Kamera, sondern einem Kumpel erzählen, so als Selbsttherapie. Dabei lebt die Serie vor allem von seinem namenlosen Erzähler, welcher sehr authentisch wirkt und seine Geschichten überraschend ungeschönt mit uns teilt: So lässt er uns stets an seinen Gedanken teilhaben, wann er im Gefängnis wirklich clean werden wollte und wann es ihm nur darum ging, möglichst schnell während der Therapie abzuhauen. Oder wie stolz er sich immer noch zeigt, weil ihm als Einbrecher ein Bruch besonders gut gelungen ist. Das mag für sich allein vielleicht falsch klingen, unterstreicht aber seine Authentizität und kommt sicher besser an als jeder Anti-Drogen-Film mit erhobenem Zeigefinger. Für solche Formate liebe ich das Internet.

Dieser Text hatte jetzt zwar auch ein wenig etwas von einem nachmittagslangem wilden Umherzappen vor dem Fernseher, bei dem man ziellos Information um Information aufnimmt, doch hoffe ich, dass hier etwas mehr hängenbleibt. Ansonsten ist das auch okay, hauptsache Sie schauen beim nächsten Mal wieder rein. Jetzt würde ich gerne einen Cliffhanger einbauen, mir fällt nur keiner ein. Ich wünsche trotzdem viel Vergnügen mit meinen Anspieltipps.

Garmany, Jeff (2009): Hier!

Walulis sieht fern: Hier!

Shore, Stein, Papier: Hier!

Weitere Kolumnen gibt es auf meinem Blog nachzulesen: Hier!

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