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22. Dezember 2013, 16:33 Kolumnen

Das Zürich-Syndrom

Marco Büsch - Es gibt für alles und jeden ein Syndrom. Kein Wunder, dass die grossen und wichtigen Städte dieser Welt im Syndrome-Bereich auch mitmischen müssen. Eine kleine Aufzählung.

Es gibt das Stockholm-Syndrom, welches den Umstand beschreibt, wenn Geiseln beginnen, Sympathien für ihre Geiselnehmer zu entwickeln. Dieses war mir schon seit längerem bekannt, was ich jedoch nicht wusste: So ziemlich jede grössere Stadt, die etwas auf sich hält, besitzt ein nach ihr benanntes Syndrom. Eine kurze und sehr wahrscheinlich unvollständige Liste einiger dieser Symptome:

- Das London-Syndrom: So wird das genaue Gegenteil des Stockholm-Syndroms genannt: Die Geiselnehmer beginnen mit den Geiseln zu sympathisieren. Hier

- Das Paris-Syndrom: Betrifft in erster Linie japanische Touristen. In den japanische Medien wird ein solch übertriebenes Bild von Paris vermittelt, dass japanische Touristen das Gefühl haben, in der Stadt der Liebe seien alle Menschen wunderschön, immer glücklich und würden alle Louis Vuitton tragen. Diese hohen Erwartungen treffen dann auf die harte Realität, welche nicht annährend den Vorstellungen entspricht und es kommt zu einem psychotischen Schub. Hier

- Das Jerusalem-Syndrom: Jerusalem ist eine der heiligsten Stätten der Welt, für manche Menschen ist die ganze Spiritualität zuviel und es kommt zu einer akuten vorübergehenden Psychose. Die Betroffenen halten sich plötzlich für die wiedergeborene Maria oder der wiedergeborene Jesus. Wahlweise auch Petrus, Johannes der Täufer oder Moses. Hier

- Das Florenz-/Stendhal-Syndrom: Stendhal war ein französischer Schriftsteller, welcher 1817 als erster das Florenz-(oder eben das Stendhal-)Syndrom beschrieb oder zumindest die Ursache und Auswirkungen: Er war so überwältigt ab der kulturellen Vielfalt und dem Wissen, dass in Florenz die Grabstätten so bekannter Persönlichkeiten wie Michelangelo, Galileo Galilei oder Machiavelli liegen, dass ihm das Herz schneller zu pochen anfing und er Probleme mit der Atmung bekam. Das Stendhal-Syndrom beschreibt daher eine zeitweilige psychosomatische Störung durch kulturelle Reizüberflutung. Hier

- Das Venedig-Syndrom: In keiner anderen Stadt begehen Touristen häufiger Selbstmord. Über die Gründe ist man sich uneins: Die italienische Psychologin Diana Stainer zumindest meint, die Stadt verbinde Romantik mit Untergang und Dekadenz, was zu Selbstmord anregen könne. Hier

- Das New York-Syndrom: Die Menschen, welche am New York-Syndrom leiden, kommen meistens aus sehr kleinen Orten, in denen sie sich eingeengt fühlen. Sie müssen unbedingt nach New York, denn nur dort können ihre Träume verwirklicht werden, frei nach dem Motto: „If I can make it there, I'll make it anywhere“. Leider können die überbordenden Erwartungen an die Stadt meist grösstenteils nicht erfüllt werden und so kann es zu Zusammenbrüchen und Depressionen kommen. Hier

- Das Berlin-Syndrom: „Extrem seltene, kongenitale ektodermale Dysplasie mit verminderter Behaarung, trockener atrophischer Haut mit fleckförmigen Hyperpigmentierungen, Palmoplantarkeratosen“. Fragt mich nicht, was das heisst. Wer es erklären kann, bitte melden. Hier

Ein Syndrom fehlt aber wirklich noch: Das Zürich-Syndrom. Es könnte ein Syndrom sein, dass insbesondere unsere deutschen Nachbarn betrifft: Die Vorstellung, alle Schweizer seien nett und herzig und dann kommen sie nach Zürich, um hier zu arbeiten, und werden abschätzig und unhöflich behandelt, was dann zu Depressionen führen kann. Es könnte aber auch für masslose Selbstüberschätzung stehen: Zürich ist so unendlich wichtig, es braucht sogar ein eigenes Syndrom. Und was Zürich natürlich auch noch ist, um im aktuellen Sprachjargon zu sprechen: systemrelevant. Wahnsinnig systemrelevant. Aber man stelle sich vor, man würde herausfinden, dass es gar nicht wirklich so ist: Ich bekäme wahrscheinlich schon ein kleines Depressiönli. Was übrigens bei den meisten dieser Syndrome hilft: Sofort den Ort verlassen, der das Leiden schafft. So gesehen, wäre ein Zürich-Syndrom in dieser Form schon ein wenig doof. Aber vielleicht hat der eine oder andere Leser noch eine bessere Idee, Beiträge sind herzlich willkommen!

Weitere Kolumnen gibt es auf meinem Blog nachzulesen: Hier!

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