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The Church Of Elliott Smith

28.10.2010 à 16:15

(erschienen in der WoZ Music 2004)

«Grösster Gewinner: Elliott Smith.» Der Titel der amerikanischen «Billboard Independent Albums»-Hitparade klingt zynisch. Klar, Elliott Smiths neues Album «From A Basement On The Hill» hat sich mit 43'000 Einheiten in einer Woche so gut verkauft wie keine seiner Platten zuvor und wie keine andere Indie-Platte in diesem Monat. So gelesen hat Billboard natürlich recht, der Markt hat immer recht. Nur: Elliott Smith ist seit einem Jahr tot. «Basement» erscheint exakt ein Jahr nachdem sich der Singer-Songwriter in seiner Wohnung in Los Angeles ein Messer ins Herz gerammt hat. Er war 34 Jahre alt.

Es ist seltsam, dies jetzt zu schreiben, aber: Ich freue mich für Elliott. Ich freue mich für all seine FreundInnen und Fans weltweit, von Adelaide/Australien bis Weimar/Deutschland, wo im Oktober bei Memorial-Treffen viele Leute zusammengekommen sind, um sich seiner zu erinnern. Elliott is around und seine neue Platte ein leuchtender Stern in diesem komplexen «Big Nothing», das er so oft besungen hat, mit seiner jungenhaft leisen, hauchenden Stimme, die Augen geschlossen und – trotz aller Verzweiflung in seinen impressionistischen, intimen, Beat Poetry-haften Lyrics – ein Lächeln auf den Lippen. Elliott Smith hat den Schmerz bis auf den Boden ausgelotet und darin Schönheit entdeckt – für sich und für uns, die wir seine Songs hören können, immer noch. Wer jenen spezifischen Schmerz kennt, denjenigen des missbrauchten oder getretenen oder schlicht vergessenen Underdogs, der oder die hat Elliott geliebt. Zu einem seiner Konzerte zu gehen, sagte ein Fan im Internet, sei wie in die Kirche zu gehen.

Die anderen kannten ihn nicht – bis plötzlich, im Februar 1998, sein Song «Miss Misery» für Gus van Sants Film «Good Will Hunting» mit der Oscar-Nominierung ins Rampenlicht gekickt wurde. Zwar gewann Elliott den Oscar nicht, aber das Bild hätte ich gerne gesehen: Elliott und Celine Dion auf der selben Hollywood-Bühne; zwei Welten, die nicht das geringste gemein haben. «Einer der absolut surrealsten Momente in der jüngeren Geschichte der Musik», schrieb allmusic.com. Tatsächlich, ein seltener Systemfehler. Elliott sagte später:«Hätte ich den Oscar gewonnen, ich hätte ihn das Klo runtergespült.»

Steven Paul (Elliott) Smith wird im Sommer 1969 in Nebraska geboren, seine Eltern lassen sich ein Jahr später scheiden, er zieht mit seiner Mutter in einen Vorort von Dallas, Texas. Mit 15 wechselt er zu seinem Vater an die Westküste, Portland, Oregon, weil er von seinem Stiefvater misshandelt wird. In Portland gründet er mit 16 seine erste Band, mit 23 seine zweite: Heatmiser. 1993 machen Heatmiser die erste Platte, «Dead Air», doch Elliott ist die Musik zu laut, zu rockig, seine Songs verpuffen im Lärm. Er hat seit seinem 14. Lebensjahr Songs geschrieben und daraus macht er 1994 sein erstes Soloalbum, «Roman Candle» (beschreibt den Zustand eines Fallschirmspringers, der auf dem Weg nach unten merkt, dass der Schirm nicht aufgeht). 1995 kann er für das Kult-Label «Kill Rock Stars» sein zweites Album «Elliott Smith» realisieren. Die meisten Songs nimmt er zuhause mit einem 4-Spur-Gerät auf, Homerecording also, absolutes Low-Fi. Und 1997 folgt endlich «Either/Or», das Meisterwerk. 1998 übernimmt das Label Domino für Europa die Rechte und bringt alle drei Alben gleichzeitig raus. Elliott Smith ist auch in Europa angekommen, in den USA ist er zur Ikone der Alternative/Low-Fi-Szene geworden. Wider Willen natürlich. Es gibt keinen anderen halbwegs erfolgreichen Musiker und Songwriter, der das Rampenlicht so gescheut hat wie er. Nicht mal Will Oldham, der verrückte Ein-Mann-Palast.

«Either/Or» hat ein schönes Cover: Die Photographin Debbie Pastor hat Elliott vermutlich in einem Backstageraum, vermutlich in New York, wo er kurze Zeit lebte, aufgenommen. Unnötig zu sagen, dass der Raum schäbig, die Spiegelwand in seinem Rücken vollgekritzelt ist. Elliott sitzt auf einem Stuhl, den rechten Arm angehoben, in dieser Hand eine Zigarette, um Wange und Mund viele Narben, auf dem Kopf ein Cap mit dem Label «Hell Jet» oder auch «Help Jet» (eine sinnige Metapher für Elliotts Wesen: Hölle und Hilfe). Sein Blick geht durch die Kamera hindurch und hinten irgendwohin raus, in ein Dazwischen, von dem wir nichts wissen. Sein Blick ist verletzt und fixierend, abwesend und böse, er sagt «hilf mir» und er sagt «fick dich». Es ist ein Blick, der Liebe will und weiss, dass er, käme die Liebe zu ihm, sie nicht gebührend erwidern könnte.

Sinnlos, über Elliotts Aussagen zum Verhältnis zu seiner Mutter zu reden, sinnlos, die vielen Verweise in den Songtexten auf seine Kindheit, seine zerbrochene Familie zu deuten. Sinnlos auch, über Elliotts Abhängigkeiten von Alkohol, Heroin und Antidepressiva zu reden, sinnlos, auf seine Klinikaufenthalte und Gewaltausbrüche und abgebrochenen Tourneen einzugehen. Längst bevor er sich das Leben genommen hat, hat er die Dinge klar gestellt: nicht irgendjemand anders bricht dein Herz, nein, du brichst es dir selbst. Der letzte Song, den Elliott auf dem letzten Album «Figure 8» augenommen hat, heisst «Bye» und ist nur eine Pianofigur, die in einer verlassenen, abbruchreifen Halle rumschleicht, bis sie abstirbt. Man konnte damals schon, vor vier Jahren, kein gutes Gefühl haben.

Doch nun also «From A Basement On The Hill», Nummer 1 in den US-Independent-Charts. Der schönste Song heisst «Pretty (Ugly Before)» und vereint nochmals allen Glanz, der aus Elliott Smiths gestrahlt hat: die magische, weiche Stimme, die gleissend leichten Melodien, die fast skulpturhaft modellierte Musik, die nahe Ferne des Klangs der Instrumente, die Umarmung des swingenden Lebens.

Und hey: Er war einer von uns.

cf.

Neuer Release: Elliott Smith: An Introduction To ..., Oktober 2010, (Domino Records)

Pre-Listening gibts bei 78s.

Elliott Smith: From A Basement On The Hill, Oktober 2004 (Domino/Rec Rec, US: Anti/Epitaph/Domino)Fan Site: www.sweetadeline.net

Selbstmorde in der Rockgeschichte:

Nick Drake, November 1974, 26 Jahre, Überdosis Medikamente

Ian Curtis, Joy Division, Mai 1980, 24, Erhängen

Kurt Cobain, Nirvana, April 1994, 27, Erschossen

Chris Acland, Lush, Oktober 1996, 30, erhängt

Michael Hutchence, INXS, November 1997, 37, Strangulieren

Wendy O. Williams, Plasmatics, April 1998, 48, erschossen

William Tucker, Regressive Aid/Ministry, Mai 1999, 38, Kehle durchschnitten und Überdosis Medikamente

Herman Brood, Juli 2001, 54, Sprung vom Dach des Hilton Amsterdam

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