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24. Oktober 2008, 21:55 Kolumnen

Der Student S: Die Falle

christian zweifel - Als Student S an jenem Morgen inmitten der hölzernen Reihen des kleinen Vorlesungssaales Platz nahm, ahnte er noch nichts von der Intrige, die einer seiner Mitstudenten bald schwungvoll in Szene setzen würde. Es war dies eine der nur spärlich besuchten Vorlesungen höherer Sem...

Als Student S an jenem Morgen inmitten der hölzernen Reihen des kleinen Vorlesungssaales Platz nahm, ahnte er noch nichts von der Intrige, die einer seiner Mitstudenten bald schwungvoll in Szene setzen würde. Es war dies eine der nur spärlich besuchten Vorlesungen höherer Semester; man kannte sich, und ein jeder wusste um die geistigen Höhenflüge des S.

Nicht wenigen war dieser unschlagbare Alleswisser, dieses geistige Genie und Ursache jener humansten aller humanen Eigenschaften, die man Neid nennt, ein Dorn im Auge. Niederträchtig und menschlich zugleich ist dieses widerwärtigste Gefühl aller Gefühle, jener sich offenbarende Einblick in die finsteren Abgründe der Seele, welche schon so mancher Untat den Weg ebnete. So reiften auch in diesem Saale Neid und Missgunst zu jenen verderblichen Früchten heran, die eine ganze Gesellschaft zu vergiften fähig sind. Student T, stets in den hintersten Rängen der örtlichen Notenskalen anzutreffen, muss eine solche Frucht geschluckt haben, denn eines Tages berief er sämtliche Mitstudenten, S ausgenommen, in geheimer Mission zu sich nach Hause. Der Plan sah vor, den Streberling unter allen Umständen von der bevorstehenden Klausur fernzuhalten und ihm mittels der damit verbundenen Nichtpromotion eine tüchtige Lektion zu erteilen.

Gesagt, getan. Just am Vorabend der Prüfung überredete das illustre Studentengrüppchen ihren Kontrahenten zum gemeinsamen Abendtrunk in einem nicht weniger illustren Lokal, dessen rot beleuchtete Fenster der oberen Stockwerke allerlei Kundschaft nach sich zog. S, mit dem Alkohol so wenig vertraut wie mit der Weiblichkeit und so naiv wie klug wunderte sich nicht ob der plötzlich überbordenden Anteilnahme der sonst zurückhaltenden Mitstudenten. Fleissig ermutigte, ermunterte das schlaue Grüppchen den Ahnungslosen zu einem ordentlichen Trinkgelage. Schliesslich winkte T. eine adrette Dame herbei und streckte ihr einen ansehnlichen Betrag entgegen mit der Bitte, diesem Herrn da, einem Studenten, etwas dienlich zu sein.

Endlich stieg, benebelt die Sinne, trunken das Herz, zu später Stunde der in seinem Leben erstmals Enthemmte in weiblich-adretter Begleitung die steilen Stufen einer engen Wendeltreppe empor.Höchst erfreut über den gelungenen Schachzug hatte sich die restliche und bewusst nüchtern gebliebene Studentenschaft schon längst wieder nach Hause begeben – schliesslich war am folgenden Tag die Prüfung auf acht Uhr angesagt.

Am nächsten Morgen, sehr zur Freude aller angesichts des Ausbleibens von S., fiel die schwere Türe punkt acht Uhr geräuschvoll ins Schloss. Triumphierende Blicke, Pupillen voller Genugtuung wechselten die Gesichter, als von den ausgeteilten Fragebogen einer übrig blieb. Der sich am meisten gefreut machte sich gerade daran, die erste Aufgabe zu lösen, als kaum merkbar die schwere Türe des Vorlesungssaales sich erneut öffnete und, sehr zum Schrecken von T., Student S. eintrat. Nichts, aber gar nichts verriet an diesem Menschen die leiblichen Genüsse der vergangenen Nacht. Viel mehr schob sich S mitsamt Fragebogen und ausdrucksloser Miene zwischen die hölzernen Bänke, um sich an das Lösen der Aufgaben zu machen.

Die Intrige war fehl geschlagen, der Unbesiegbare hatte die Schlacht gewonnen.Wie heisst es so schön: Wer andern eine Grube gräbt…

Kommentare
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livvi
livvi 25.10.2008 um 01:55
Kafkaesk.