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27. Oktober 2008, 10:55 International

Kosovo-Tagebuch: Teil 2

Simon Knopf - 09.08.2008 - Stadtwandern Der erste volle Tag in Pristina. Wir machen uns auf, die Stadt zu erkunden. Gegenüber dem Sportzentrum von Pristina, einem klobigen, leicht abweisenden Bau, der etwas an eine Fabrik erinnert, steht ein kurzes Stück Mauer aus Betonelementen. Es trennt ...

09.08.2008 - Stadtwandern

Der erste volle Tag in Pristina. Wir machen uns auf, die Stadt zu erkunden. Gegenüber dem Sportzentrum von Pristina, einem klobigen, leicht abweisenden Bau, der etwas an eine Fabrik erinnert, steht ein kurzes Stück Mauer aus Betonelementen. Es trennt über einige Meter das UNMIK-Gelände von der Strasse ab. Auf den Betonteilen finden sich bunte Kinderzeichnungen von Häusern, Gesichtern und Blumen, darüber in kindlicher Schrift Sätze wie „Thank you America“ und „We are the best (Kosova)“. Auf der anderen Strassenseite lassen sich Leute vor dem Sportzentrum mit dem grossen NEWBORN-Schriftzug fotografieren. Tausende müssen es sein, die sich auf den grossen Metallbuchstaben schon verewigt haben. Am Giebel des Baus dahinter hängt derweilen ein Bild von Adem Jashari, dem UCK-Kommandanten, den man hier als grössten Kriegshelden und Märtyrer feiert. Ganz in Camouflage, eine AK47 in der einen Hand, einen Mantel über die Schultern geworfen sieht er ein bisschen aus wie Kaiser Franz Joseph in Jagdmontur.

Wir ziehen weiter den Hügel hinauf ins Universitäts-Viertel. Dort ist es ruhig. Vor dem Eingang der Kunsthochschule hält ein Obdachloser einen Vortrag für ein unsichtbares Publikum. Weiter oben am Hügel liegt das Gelände mit den Studentenwohnheimen menschenleer in der grellen Mittagssonne. Die meisten Vorhänge hinter den Fenstern der Plattenbauten sind gezogen. Die Sommerferien werden es uns nicht gerade einfach machen, Studenten für Gespräche zu finden.

An der Eingangstür der Bibliothek hängt ein Zettel, auf dem steht, dass das Gebäude ab dem 20. August wieder geöffnet sein werde. Wir setzen uns auf die Treppe davor und jeder starrt für ein Weilchen in die Luft und über die Stadtlandschaft. Wir beginnen über die Architektur des Bibliothek-Gebäudes zu sprechen. Auf dem gestuften Flachdach sitzen verschieden grosse, weisse Kuppeln, die an die traditionelle, albanische Kopfbedeckung, den Qeleshjas erinnern. Der Fassade vorgelagert und den ganzen Bau umfassend hängt eine massive Gitterstruktur, deren Abschlüsse auf etwas mehr als einem Meter über Boden an die Krallen eines Vogels erinnern. Mir kommt unweigerlich die albanische Flagge mit dem Doppel-Adler in den Sinn. „Es ist, als ob man alles mit einer Symbolik belädt“ meint Christoph dazu.

Eigentlich sprechen wir im Moment nicht gerade viel miteinander. Ich merke, dass mich die vielen Eindrücke stark absorbieren. Zudem glaube ich, dass wir beide den Druck spüren, eine Reportage hinzukriegen. Wir sind jetzt in Pristina, wir brauchen jetzt Leute, die wir interviewen und portraitieren können.

Wir beschliessen eine Siesta einzulegen. Die Hitze wird langsam unerträglich und Christoph meint, es sei eh zu grell, um zu fotografieren.

Am späteren Nachmittag ziehen wir noch einmal los. Am Mutter Teresa Bvd gehen wir spontan ins Nationaltheater. Bei der Portier-Loge sitzen einige Männer an einem Tisch. Der eine steht auf und tritt an uns heran. Er spricht Deutsch und erklärt, dass das Theater erst wieder ab September geöffnet sei. Auf Christophs Anfrage hin ist er aber trotzdem bereit, uns kurz die Eingangshalle und den Theatersaal zu zeigen. Letzterer ist von mittlerer Grösse. Auf der Bühne steht einsam und verlassen ein Requisiten-Rollstuhl. Der weinrote Teppich weist einige Wasserflecke auf. Ich frage unseren Guide, ob er auch im Theater arbeite. Der Mann bejaht und berichtet, dass er zuerst Requisiteur gewesen sei, und jetzt Portier. Sein Erzählen springt danach direkt auf das Gebäude. Als ob seine Biographie nicht wichtig wäre, führt er mich bruchstückhaft in die Geschichte des Theaters ein. Es habe die beste Akustik auf dem ganzen Balkan, betont er zum Schluss. Als wir in die Lobby zurücktreten, fällt mir erst auf, dass mitten im Raum, an einem kleinen Tisch, ein ergrauter Herr sitzt und eine Zeitung liest. Neben dem Blatt eine Kaffeetasse und eine Packung Zigaretten. Er schaut kein einziges Mal auf, als wir um seinen Tisch rum Richtung Haupteingang gehen. Dort weist mich unser Guide auf zwei Büsten hin, die links und rechts des Eingangs stehen. Katarina Josipi und Meribane Shala. Sie seien die zwei ersten Schauspielerinnen hier gewesen. Die Büsten zeigen zwei Frauen mit strengen Frisuren und ernsten Gesichtern.

Wir wandern auf die andere Seite der Stadt, zu jenem grossen Rondell, welches uns am Vortag vom Taxi aus aufgefallen ist. Unweit davon steht das Hotel Victory. Auf dem Dach des Baus thront eine Miniature der Freiheitsstatue. Dankbarkeit gegenüber den USA wohin man blickt. Es gibt mehr davon: der Bill Clinton Bvd, das Cafe Hillary, mit dem Schriftzug in „Stars and Stripes“. Während Christoph den Bau auf Film bannt, beobachte ich den Verkehr im dreispurigen Rondell. Gemächlich ziehen da Autos und Lastwagen ihre Runden. Von Zeit zu Zeit ein alter Bus, oder ein leicht gepanzerter Landrover der französischen Gendarmerie. Zur Abwechslung taucht auf der innersten Spur plötzlich ein kleiner Traktor mit klapprigem Anhänger auf. Ohne sich beirren zu lassen, lenkt der alte Mann das langsame Gefährt über zwei Spuren und zwischen hupenden Autos hindurch auf die Ausfahrt Richtung Innenstadt zu. Dort springen zu meinem Amüsement zwei Jungs, die vermutlich auf den Bus gewartet haben, spontan auf den Holzanhänger des Alten und rumpeln grinsend davon.

Es gibt Leute, die sagen, eine Stadt erkunde man am besten zu Fuss. Grundsätzlich stimme ich dem zu, doch auch öffentliche Verkehrsmittel können ganz interessant sein. Ebenso spontan, wie die zwei Jungen zuvor auf den Anhänger des Alten gesprungen sind, schnappen wir uns einen Bus. Das Fahrzeug ist gut und gerne so alt wie ich. Handgeschaltet. Zwecks Raumschaffung nur noch mit der Hälfte der Sitze ausgestattet fährt das Teil gemächlich durch Pristina. Die Route kennen wir nicht, doch vermuten wir, dass sie früher oder später schon irgendwo in die Nähe unserer Bleibe führen wird. Gerade mal 40 Cent kostet die Langstreckenfahrt. Wir bleiben sitzen, bis sich der Bus unweit von unserem Viertel den Hügel hinaufschlängelt. Als wir aussteigen, stehen wir in einem Stadtteil, welcher einer einzigen Baustelle gleicht. Beidseits der Strasse unverputzte Backsteinbauten in verschiedenen Stadien der Vollendung. Die schmale Gasse, durch welche wir dann den Hügel runtergehen, gleicht eher einem urbanen Schotterweg aus Asphaltresten und Ziegelsplittern. Bauschutt säumt die Strassen.

Nicht zum ersten Mal fragen wir uns, inwieweit die Menschen der Ruhe und Dauerhaftigkeit der Lage im Kosovo wirklich trauen. Manchmal finde ich es schwierig abzuschätzen, wie viele der Häuser kalkuliert provisorisch, und wie viele auf Grund fehlenden Geldes nur halb fertig, teils fast halbherzig gebaut sind. Ein kleiner Laden bei uns um die Ecke fertigt und verkauft Pistolen-Halfter und Patronengurte jeglicher Art. Der Anblick der verschiedenen Schulter-, Gurt- und Fussgelenk-Halfter erweckt den Eindruck, als befinde man sich in einem Land, wo ein Bedarf an Dirty-Harry-Equipement noch vorhanden ist.

Am Abend sitzen wir bei einem „Peja“-Bier im „Illyrian Room“, einer schwülstig eingerichteten Bar. Über die Lautsprecher erklingt abwechslungsweise traditionelle Musik, Pink Floyd und Coldplay. An der Wand hinter dem Tresen hängt zwischen einem Spiegel und einem dicken Schinken eines Gemäldes ein Flachbildfernseher. Der Info-Kanal einer Immobilienfirma zeigt ununterbrochen nette Computeranimationen von bunten Mehrfamilienhäusern und dazwischen immer wieder Aufnahmen von fröhlichen Kindern auf einem Spielplatz. Wirklich gesehen habe ich erst zwei, drei solcher Häuser. Tatsächlich verputzt und erst noch mit bunter Fassade.

Gerade als ich den Stift ansetzen will, um mir was zu notieren, geht wieder der Strom aus. Ich bin erstaunt, wie schnell Licht, Musik und TV-Bild verschwinden und beinahe totaler Dunkelheit Platz machen. Kein warnendes Geräusch, kein langsames Ausblenden. Die Gespräche an den Nachbartischen gehen unbeirrt weiter.

Kosovo-Tagebuch Teil 1: Die Ankunft

Bilder von Christoph Oeschger

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