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4. Dezember 2008, 20:09 Movie

Waltz With Bashir

Christina Ruloff - Einblicke in die Innenwelt eines Soldaten – und in das kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation von Israeli: Ari Folman schafft den ersten animierten Dokumentarfilm, ein schlicht unvergessliches und aufwühlendes Werk!Es beginnt alles mit den 26 Hunden, die Boaz jede Nach...

Einblicke in die Innenwelt eines Soldaten – und in das kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation von Israeli: Ari Folman schafft den ersten animierten Dokumentarfilm, ein schlicht unvergessliches und aufwühlendes Werk!

Es beginnt alles mit den 26 Hunden, die Boaz jede Nacht, jede einzelne Nacht, quälend in seinen Träumen durch Tel Aviv hetzen, ohne je von ihm abzulassen – ein Sequenz von erschreckender Unmittelbarkeit. Ari Folman, wegen dieser vermeintlichen Lappalie von seinem Freund Boaz aus dem Bett geklingelt, versteht nicht. Da erläutert der Freund, dass dies eben jene 26 Hunde seien, die er im Libanonkrieg bei einem Überfall auf ein Dorfes hatte erschiessen müssen. (Man wies ihm diese Aufgabe zu, weil dem Kommandierenden bewusst war, dass Boaz ohnehin nie auf Menschen schiessen könnte.) Da realisiert Folman, dass er überhaupt keine Erinnerungen an den Libanonkrieg 1982 hat, ausser der einen von der Nacht des Massakers von Sabra und Schatila: Er liegt mit seinen Kameraden im Meer vor Beirut und betrachtet den von Leuchtraketen erhellten Himmel. Ein alter Freund hingegen erklärt ihm aufgebracht, dass das so gar nie stattgefunden habe, eine Erfindung seines Unterbewusstseins sei – und von da an hat der Regisseur Folman keine Ruhe mehr, bis er mit allen seinen damaligen Kameraden gesprochen hat und sich zu erinnern beginnt.

Ari Folman hat die Interviews und Gespräche alle aufgezeichnet; um die Erinnerungen, Eindrücke, den Schrecken und zugleich die Mechanismen des Vergessens, Verdrängens und Verklärens aufzuzeigen, wurden die Erzählungen in Bilder umgesetzt: Man sieht nun nicht nur, wie Soldaten grundlos auf Fahrzeuge schiessen, bis diese zum Stehen kommen, wie sie im geschützten Panzer Innenstädte verwüsten und „Wir haben heute Sidon bombardiert“ johlen (bis der Kommandant von einem Sniper erschossen wird und die verstörten Teenager wie Freiwild abgeknallt werden), wie ein kleiner Junge in einem Hain mit einem Raketenwerfer auf Soldaten schiesst. Man hört zugleich, was die Soldaten, nun gesetzte, graumelierte Männer, empfanden und heute empfinden. Man ist mit einem Wort mittendrin – im Damals, im Heute, im Gedächtnis, das zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein schwankend, das Erlebte zu verarbeiten sucht. Das gelingt, wie das Beispiel Carmis zeigt, kaum je. Der junge Mann, der in der Schule als Genie galt und sich unsäglich vor dem Krieg gefürchtet hat, hat Israel vor langer Zeit verlassen und sich in der trostlosen, verschneiten Einöde in Holland ein einsames Refugium geschaffen.

Dass Krieg sinnlos ist, ist eine Binsenweisheit. Was das surreale Treiben aus durchschnittlichen, harmlosen Teenagern machen kann, zeigt Folman mit wahnwitzigen, grossartig geschnittenen Bildern. Sie wurden vier Jahre lang in Handarbeit, Blatt für Blatt, gezeichnet. Waltz With Bashir ist ein schlicht grossartiges Zeitdokument, das Geschichte machen wird – und das man gesehen haben muss.

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