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25. März 2009, 00:00 Kolumnen

Erasmus reimt sich auf Orgasmus

Tian Hartmann - Lieber Rohrer im hohen Norden, Du nimmst mir die Worte vorweg. Deine Beschreibung des Homo Erasmus - dieser ganz eigenen Gattung - trifft den Nagel auf den Kopf. Wie in Helsinki, so auch im Osten Berlins. Mit meinen zarten 25 Jahren zähle ich unter den Austauschstudenten anschei...

Lieber Rohrer im hohen Norden,
Du nimmst mir die Worte vorweg.
Deine Beschreibung des Homo Erasmus - dieser ganz eigenen Gattung - trifft den Nagel auf den Kopf. Wie in Helsinki, so auch im Osten Berlins. Mit meinen zarten 25 Jahren zähle ich unter den Austauschstudenten anscheinend bereits zum alten Eisen. Ein klassischer Abend des Homo Erasmus verläuft hier immerzu gleich: Um 19h00 versammelt man sich im Wohnheimzimmer eines spendablen Mitstudenten, meist einem respektierten Silberrücken, der bereits das zweite Semester in Berlin studiert, trinkt fleissig Flaschenbier und mixt Fruchtsäfte mit allen verfügbaren Alkoholika. Dann lacht Mann sich eine Studentin an - dies im wahrsten Wortsinne. Mit 20 und dem Segen des Heiligen St. Erasmus genügen einfachste Paarungsrituale, nur bloss keine hohen Ansprüche, bloss keine hochstehende Anmache: Erasmus ist simpel und einmalig, eine Art Initionsritus bar jeglichen Niveaus und Stils. Der männliche Student aus Irland oder England also lächelt um 21h00 einmal schüchtern in die Richtung einer angetrunkenen Studentin aus Finnland, Russland oder woher auch immer und schon rufen die herumstehenden Kommilitonen aus Frankreich, Polen und Mexiko frenetisch: „Kiss, kiss, kiss“ und klatschen bei erledigter Aufgabe eifrig Beifall. Die Party nimmt ihren festgelegten Lauf und spätestens um 22h00 liegt alles übereinander, was nicht mehr gerade stehen kann. Erinnert dich das nicht auch entfernt an Flaschendrehen und Bravohits? An Flaum auf der Oberlippe und die ersten Feuchtträume? „What happens in Erasmus, stays in Erasmus“, ist ein oft beschwörtes Ritual, hält man sich denn in der Masse auf. „Erasmus happens in the Wohnheim and stays in the Wohnheim“, ist der kritische Betrachter geneigt zu sagen.

Will man etwas von der Gaststadt Berlin sehen und die einheimischen Kultur mit all ihren Sub-Divisionen in sich aufsaugen, so empfiehlt sich die schnellstmögliche Abkehr von der Erasmus-Masse, im dringenden Falle sogar der Umzug in eine lokale WG. Frei von legitimierten Zwängen und billigster Traditionen kann man sich ungehindert dort bewegen, wohin einem kein Erasmus-Mob folgt. Dieser nämlich scheut den Kontakt mit Einheimischen weitaus mehr als der Teufel die gebunkerten Weihwasservorräte des Vatikans. Die kollektive Kulturverweigerung dieser besonderen Rasse ist zwar weder tragisch noch gefährlich, allerdings irgendwie zu bedauern. Liegt doch das wahre Leben auf den Strassen ausserhalb der Studentenwohnheime, dort wo die Stadt atmet und schwitzt und lebt.

Es gibt da die gehoberen Klubs, wo man zwar ein paar Euro Eintritt bezahlt, auf das in Zürich bekannte leide Selektionsverfahren beim Einlass aber vergeblich wartet. Die Mucke [sic!] ist grundsolide und gut bekömmlich, es gibt halt für jeden Geschmack etwas. Viel spannender sind hingegen die schmuddeligen Hinterhofklubs, die es hier zuhauf gibt. Mit vermeintlicher Illegalität wird wohl nur zu oft gerne um Publikum geworben, sie gleicht einem Qualitätsmerkmal und der Charme des Verbotenen scheint zu wirken. Eine bunte Mischung lebensfroher Menschen jeglichen Couleurs tanzt ausgelassen zu Elektrobeats und Punksongs, draussen im Hof grilliert derweil ein bärtiger Opa in Bähnlertracht Würste und Buletten. Die Stimmung ist gut und die Luft ist rein, das Rauchverbot gilt zumindest meistens. Und ist man dann frühmorgens auf den verkackten Strassen Berlins unterwegs, so ist man nie allein. Berlin soll nachts noch sicherer als tagsüber sein. Vielleicht auch, weil sich der Erasmus-Mob nächtens in den Wohnheimbunkern verschanzt.

Berlin oder Helsinki? Der students.ch Austausch-Battle.

Helsinkipop gibts bei Rohrer.

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