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22. April 2009, 00:15 Kultur

Die Rösti – Sinnbild einer Identität?

Antonio Fumagalli - Andere Länder, andere Sitten. Doch wie verhält es sich mit anderen Landesteilen? Unser Autor auf Spurensuche in der Romandie. Kaum jemand bestreitet, dass zwischen der französischen und der deutschen Schweiz kulturelle Unterschiede bestehen. Die geographische und insbesondere...

Andere Länder, andere Sitten. Doch wie verhält es sich mit anderen Landesteilen? Unser Autor auf Spurensuche in der Romandie.

Kaum jemand bestreitet, dass zwischen der französischen und der deutschen Schweiz kulturelle Unterschiede bestehen. Die geographische und insbesondere sprachliche Nähe zu Frankreich beziehungsweise Deutschland haben ohne Zweifel eine starke Auswirkung auf den Alltag in den beiden Landesteilen, auch wenn daraus paradoxerweise alles andere als eine „Liebe“ zum grossen Nachbarn resultiert. Es reicht, den Fernseher einzuschalten, um sich des Einflusses des entsprechenden Nachbarlandes bewusst zu werden. Der Durchschnitts-Romand interessiert sich für andere Sportarten, sieht sich mit Immigranten anderer Herkunft als in der Deutschschweiz konfrontiert und kleidet sich vermutlich sogar etwas modebewusster als sein Mitbürger ennet der Saane. Soweit also alles Indikatoren, die auf die Existenz des vielbesagten Röstigrabens hindeuten. Auf dem politischen Parkett ist seit ein paar Jahren hingegen eine gewisse Entspannung oder Angleichung der Positionen zwischen den beiden Landesteilen festzustellen. Während bei der Jahrhundertabstimmung über den EWR-Beitritt im Jahr 1992 die Differenz zwischen den beiden Landesteilen noch unglaubliche 31 Prozentpunkte betrug, hat sich der Abstimmungsgraben seither insbesondere im europapolitischen Themenfeld sukzessive verringert. Beim kürzlich erfolgten Urnengang über die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien stimmten gerade mal noch 7 Prozent mehr Welsche als Deutschschweizer der Vorlage zu. Auch die erstaunlich gelassenen Reaktionen in der Romandie auf die Übernahme des Westschweizer Medienhauses Edipresse durch die Zürcher Tamedia-Gruppe lassen nicht gerade auf eine unüberwindbare Trennlinie schliessen.

Ganz grundsätzlich ist zudem grosse Vorsicht angebracht bei der Klassifizierung der Romands als Einheit, die gibt es nämlich schlicht nicht. Ein Genfer hat mit einem Unterwalliser nicht mehr Gemeinsamkeiten als ein Stadtzürcher mit einem Urner. Auch wird ein Welscher erst dann als solcher „identifiziert“, wenn er seine Sprachregion verlässt; zuvor fühlt man sich viel eher der jeweiligen Stadt oder Region zugehörig. Die Identität der Romands wird also von aussen konstruiert und hat kaum eine Bedeutung, solange man sich im eigenen Landesteil befindet. Zudem hat die urbane Gesellschaft der West- und Deutschschweiz deutlich mehr Gemeinsamkeiten als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Dass dieses Umfeld auch die persönliche politische Ausrichtung beeinflusst, liegt auf der Hand. Um es auf einen Nenner zu bringen: Das insbesondere im politischen Alltag augenfällige Stadt-Land-Gefälle darf ruhig als Phänomen betrachtet werden, das die Identität sowohl der Deutschschweizer als auch der Romands viel entscheidender beeinflusst als die Aufteilung der Schweiz ins „Dies- und Jenseits des Röstigrabens“.

*Antonio Fumagalli ist in Zürich aufgewachsen und zwecks Studium vor gut vier Jahren nach Genf gezogen.
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