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2. Juni 2009, 00:00 Movie

Pandora's Box

Christina Ruloff - Und plötzlich ist alles anders: Wunderschön und langsam erzählt Pandora’s Box von einer Familie, die sich mit ihrer an Alzheimer erkrankten Mutter auseinandersetzen muss: Grossartig!Man hat ja sonst keine Sorgen! Aber nein, ausgerechnet jetzt ist Nusret aus ihrem abgelegene...

Und plötzlich ist alles anders: Wunderschön und langsam erzählt Pandora’s Box von einer Familie, die sich mit ihrer an Alzheimer erkrankten Mutter auseinandersetzen muss: Grossartig!

Man hat ja sonst keine Sorgen! Aber nein, ausgerechnet jetzt ist Nusret aus ihrem abgelegenen Haus am Schwarzen Meer verschwunden. Ihre drei Kinder trennen sich sehr unwillig von Istanbul und machen sich auf die Suche. Doch schon auf dem Weg im Auto kommen alte Gehässigkeiten und Ressentiments hoch: Güzin, wenig erfolgreiche Journalistin, zickt ihre ältere Schwester Nesrin – Mamas Liebling – an. Diese überhäuft sie mit unnötigen Vorwürfen und schlecht gemeinten Lebensratschlägen. Und beide keifen auf Mehmet ein, der sich in einer Bruchbude durch den Tag kifft. Nach der Mutter hat schon gar niemand Sehnsucht. Wenig Pflichtgefühl und umso mehr Angst davor, was die Nachbarn tratschen, treiben die Geschwister nach Hause. Ihre Mutter wird gefunden. Sie verhält sich seltsam. Sie pinkelt ins Wohnzimmer. Sie redet kaum. Und immer wieder läuft sie einfach davon. Die Ärztin diagnostiziert Alzheimer – im mittelschweren Stadium! Wer soll sich jetzt im die Alte kümmern?!

Ja, wer soll sich kümmern? In der Schweiz sind über 100'000 Menschen an Demenz erkrankt (Alzheimer ist eine Form von Demenz), weitere 24'000 kommen jährlich dazu, Tendenz steigend – und auch hier stellt sich die grosse Frage, wer diese Menschen pflegen und umsorgen soll. Im Fall der türkischen Geschwister kommt ein luxuriöses Pflegeheim nicht in Frage, nur eine Art Altengefängnis, wo die Menschen zu Zehnt in einem Zimmer vor sich hinvegetieren. Daher versuchen die Geschwister, eines nach dem anderen, die Mutter bei sich zu Hause einzuquartieren – mit dürftigem Erfolg. Nusret war schon in gesundem Zustand eine unerfreuliche Person, jetzt büxt sie regelmässig aus, schreit herum oder schlägt gar um sich. Und wenn sie mal bei klarem Verstand ist – und sich ihrer Situation bewusst wird, dem Verschwinden der eigenen Welt, des Horizonts, ihres Lebens – lässt sie ihre Wut auch noch verbal an ihren Kindern aus und schleudert ihnen ein paar verletzende Wahrheiten zu. Die Geschwister, schon vom normalen Alltag überfordert, sind nun erst recht am Rande des Wahnsinns. Nur ihr Enkel Murat hat genug Abstand zur Alten, sich ihr mit Verständnis und Freundlichkeit zu nähern.

Die Regisseurin Yesim Ustaoglu zeichnet in wunderbaren und langsamen Bildern (Kamera Jacques Besse) ein alltägliches Familiendrama, das sich durch die Krankheit der Mutter zuspitzt und vielleicht endlich zu einer Auflösung kommen kann. Dabei werden weder Mutter und Kinder oder Enkel idealisiert, sondern mit einer gewissen Anteilnahme gezeichnet – alle kämpfen mit dem Leben und ihren eigenen Forderungen an sich selber. So wird Pandora’s Box ein realistischer, unsentimentaler und einfühlsamer Film, nicht über Alzheimer, sondern über das Leben schlechthin – ein Must in diesem Kinosommer.

Bewertung: 4.5 von 5

  • Titel: Pandora’s Box
  • Land: Türkei
  • Regie: Yesim Ustaoglu
  • Darsteller: Tsilla Chelton, Derya Alabora, Onur Unsal, Övül Avkiran, Osamn Sonant
  • Verleih: Trigon Film
  • Release: 4. Juni 2009
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