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23. Juli 2009, 00:00 CD / Vinyl Music

Review: Dr. Knarf - Wie ich flieg

Urs Langenegger -

Der Untergrund-Rapper Dr. Knarf bietet mit seiner EP und sieben Liedern alles von A bis Z um zu den Grossen im Mainstream zu gehören. Aber will er da überhaupt hin?

Am Anfang waren es die 36 Kammern des Wu Tang Clans, welche Dr. Knarf alias Kniwo2000 in die Unterwelt des Raps führten. Seit mehr als zehn Jahren tüftelt der MC nun im Kölner Untergrund an Beats und Texten, von denen die selbsternannten Highlights auf den in der Szene bekannten Mixtapes Ta$h I und Ta$h II zu Tage gefördert wurden.

Während das erste Mixtape bereits einen Rohdiamanten durchfunkeln liess, erscheint das zweite geschliffener, gereifter sowie besser produziert und aufgenommen. Einen entscheidenden Schliff verpasst dabei das Lied Trink ‘ne Milch – für welches gar der Kultregisseur für Hiphop-Videoclips namens Che André Bergedahl gewonnen werden konnte.

So sehr - vor allem auch der deutsche - Hiphop im Mainstream angekommen ist oder diesen gar regiert, so kurz ist auch die Liste der grossen und respektierten deutschen MC’s mit nachhaltigem Erfolg und authentischem Charakter. Anstatt auf aggressives Image, Boulevardpresse und PR-Stunts zu setzten, geht Dr. Knarf konsequent seinen eigenen Weg mit Visionen, Kreativität und Zeit. Es verwundert darum kaum, dass sein zweites Mixtape Ta$h Mixtape Part II gratis zum Download erhältlich ist. Viele hätten dies wohl als Vollpreisalbum verkauft.

Nach den Jahren und Mixtapes soll 2009 nun das Jahr von Dr. Knarf werden. Als Vorgeschmack erschien im Juni die sieben Tracks umfassende EP Wie ich flieg des Kölner Rappers. Darauf enthalten ist neben Rap Superstar auch der offizielle Albumsinglevorbote Wie ich flieg. Das Album selbst soll im Herbst unter dem Namen H.K.I.C – KNIWOLUTION erscheinen.

Die EP Wie ich flieg beginnt mit dem gleichnamigen Lied, was sogleich eine Überraschung darstellt: Dr. Knarf wird politisch. In früheren Aussagen liess er noch durchschimmern, er wolle nur sich selbst oder Tatsachen aus seinem Leben reflektieren und müsse nicht auf irgendwelche sozialen Missstände aufmerksam machen. Dass es jedoch auch politisch ganz gut klappt, zeigt dieser auf einem orientalisch angehauchten Beat gebettete, gesellschaftskritische Track. Dr. Knarf fliegt in neue Themensphären – und das auch noch elegant.

In gehobener Höhe sieht er auch mehr – darunter seine Leute und ihre Lebensgeschichten im Lied Tag für Tag, welches die meist düstere Geschichte von Freunden erzählt – Storytelling also ebenfalls eine Ecke, welche Dr. Knarf solid abdeckt. Er ist also auf gutem Pfad, zum Rap Superstar zu werden – eine Anleitung, wie das geht liefert Dr. Knarf selbst im gleichnamigen Lied.

Ein pumpender Beat, gepaart mit Bläsern und einer treibenden Hammond-Orgel-Melodie zusammen mit dem auffordernden, fast aggressiven Flow lassen einem beim Zuhören selbst nach Luft japsen. Dr. Knarf schafft es derweil, in witziger wie präziser Weise die Fassade von Retorten-Gangster-Rapper zu zerfetzen, indem er 20 wichtige Schritte auf dem Weg zum Rap Superstar beschreibt. Die „zehn Gesetze des Raps“ einmal anders - und als Persiflage auf den Gangsta-Rap Hype passend und intelligent umgesetzt.

Ruhiger, bedachter und nachdenklicher geht es auf dem Stück Acht Takte zu, in welchem Dr. Knarf zum genaueren Hinhören auffordert: „Gib mir ein Moment Deiner Zeit – nur acht Takte.“ Im retrospektiv angehauchten Lied zeigt er, dass er auch autobiographische und selbstreflexive Texte im Repertoire hat. „Das ist mehr als Musik, ich leg mein Herz auf den Beat, mach ihn unsterblich und flieg‘.“ Ein langes Instrumental-Outro unterstreicht den Anspruch, sich über das gehörte Gedanken zu machen.

Doch der nächste Track OK reisst einem aus diesem schwelgenden Zustand. Der Beat könnte aus einem Fisherprize-Kinderkeyboard entstammen und der Refrain wirkt nach dem harmonischen letzten Lied wie eine dysharmonische, akustische Folter. Auch wenn man entweder Authentizität oder Ironie aus dem Text heraushören sollte, stellt dieser Track definitiv den Tiefpunkt der EP dar. Ausser man steht vollends auf klassische Represent-/Battletexte.

Entschädigt wird man jedoch rasch – mit dem 10minütigen Track Jagdsaison. Bei diesem lyrischen, stabreimtechnischen Armaggeddon lehnt sich Dr. Knarf von der Idee her stark an Papoose’s Alphabetical Slaughter, BlackaliciousAlphabet Acrobatics oder an Kool Savas‘ O.P.T.I.K.. Hier jagt ein Buchstabe den anderen auf dem treibenden Beat, wobei ohne Refrain von A bis Z durch den Text gerappt wird, wie man es wohl so noch nirgends gehört hat in deutscher Sprache.

Als Zugabe gibt es am Schluss noch den Remix zum Track Trink 'ne Milch, wobei dieser nicht an das Original herankommt. Inhaltlich wie auch das dazu produzierte Video aber sehr unterhaltsam.

Fazit

Die EP Wie ich flieg zeigt eindrücklich, dass Dr. Knarf kein Newcomer mehr ist und die Zeit genutzt hat, sich weiterzuentwickeln. Das Ziel der Scheibe, statt Mixtapematerial „echte Songs mit Inhalt und Action“ zu liefern, hat funktioniert. Dr. Knarf wirkt auf den Liedern hungriger denn je und macht mit seiner Vielseitigkeit Appetit auf mehr. Eine EP, die dem Hörer kaum Fluch- und Füllwörter um die Ohren brettert und doch authentisch wirkt ist auf jeden Fall ein erfrischendes Release in einem testosterongetränkten deutschen Rapdschungel.

Wenn die wirklich herausragenden Songs und (Feature-)Überraschungen für das später im Jahr erscheinende Album zurückgehalten wurden, erwartet uns dann wohl ein einzigartiges Album. Ob er damit im Mainstream ankommen wird, mag bezweifelt werden. Solange es jedoch - wie die EP - als eigenständiges Release unabhängig von der Entwicklung der Rapszene funktioniert, wird es Anhänger von solider Rapmusik zu überzeugen wissen.

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