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19. September 2009, 09:59 Kultur

Review: Leon de Winter @ Kaufleuten

Christina Ruloff - „Im Alter schlägt die Sentimentalität zu“ – Leon de Winter ist der perfekte Gast und Gastgeber in einem.Leon de Winter entschuldigt sich – bevor er mit dem Lesen aus seinem neuen Buch „Das Recht auf Rückkehr“ beginnt – für seinen holländischen Akzent, der natü...

„Im Alter schlägt die Sentimentalität zu“ – Leon de Winter ist der perfekte Gast und Gastgeber in einem.

Leon de Winter entschuldigt sich – bevor er mit dem Lesen aus seinem neuen Buch „Das Recht auf Rückkehr“ beginnt – für seinen holländischen Akzent, der natürlich (so de Winter) alles noch viel charmanter macht. Und er bittet das Publikum „schrecklich Mitleid“ mit ihm zu haben, weil er ja in den USA lebt und es sich nicht gewohnt ist, auf Deutsch zu lesen. Das ist natürlich alles viel Show und noch mehr Understatement, denn de Winter liest hervorragend. Aber es zeigt, worin eine (bislang unterschätzte) Stärke des grossen holländischen Schriftstellers liegt: Er verfügt über echten Charme, eine gewinnende Persönlichkeit und herzliche Selbstironie. Er ist der perfekte Gast und Gastgeber in einem. Und das entzückte Publikum hatte er schon beim „Guten Abend“ auf seiner Seite.

De Winter liest drei längere Passagen. Sie handeln von dem trostlosen und entmenschten Tel Aviv im Jahre 2024 (der Roman spielt in der Gegenwart und der Zukunft, ist aber kein Science Fiction – Roman); sie erzählen von der Vater-Sohn-Beziehung, die von Unverständnis, einseitiger Bewunderung und dem Wunsch nach einer tieferen Verständigung geprägt ist (ein Leitmotiv in de Winters Romanen); und sie stellen schliesslich anhand des machtlosen und zum Stadtstaat Tel Aviv zusammengeschrumpften Staates Israel die Frage, wie weit ein Staat zur Selbsterhaltung gehen darf und ob es in der Politik tatsächlich nur um Macht geht. Vor allem der letzte, politische Auszug ist starker Tobak. Aber de Winter liest derart begeistert und ist in seine Charaktere so verliebt, dass man versucht ist, über zumindest fragwürdige politische Statements dieser Figuren hinwegzuhören.

Mit bewundernswerter Leichtigkeit klammert die Journalistin Esther Schneider, die das anschliessende Gespräch führt, politische Fragen aus und de Winter gelingt es so, seinen Roman zu einer Familiengeschichte zu stilisieren. Dass er sich mit seinen Kolumnen und seinen neokonservativen Ansichten nicht überall beliebt gemacht habe, kontert er mit einem freundlichen „Ist das so?“ und einem grossen Augenaufschlag. Lieber und ganz und gar liebenswürdig erzählt er von seiner Familie und seiner Familiengeschichte, die ihn geprägt hat. An seinen früh verstorbenen Vater, einen jüdischen Alteisen- und Kleiderhändler, erinnert er sich leider nicht mehr gut. Um gewissermassen nachzuholen, was er an Vater-Sohn-Beziehung verpasst hat – Ablehnung, grosse Szenen und noch grössere Versöhnungen – handeln viele seiner Bücher eben von solchen Beziehungen. Das Bild des Vaters, der im Krankenwagen verstorben ist, nachdem er einen Witz erzählt hat, taucht in seinem neusten Roman auf. Auch versucht de Winter in seinen Werken seine Erinnerungen an die Holocaust - Überlebenden und damit ihre ganz eigene, inzwischen untergegangene jüdische Geisteswelt zu konservieren. Und plötzlich, erzählt er, habe er entdeckt, dass er eigentlich ganz wie seine Mutter sei: Auch sie habe zu viel gegessen, sei furchtbar sentimental gewesen und habe ihre Familie vor Liebe fast erdrückt. Er selbst berichtet, wie er gestern Morgen in Frankfurt am Flughafen wegen eines Liedes eines Popsternchens aus „American Idol“ oder ähnlich in Tränen ausgebrochen sei. Während des Schreibens seiner Romane sei er emotional ohnehin immer am Boden, weil er ja all seine Romanfiguren selber sei und ihr Schicksal teile: „Im Alter schlägt die Sentimentalität zu!“

Man fragt sich, was Leon de Winter, sich vergnügt im Goldthron räkelnd, der Öffentlichkeit eigentlich nicht erzählen würde. Und man ist erleichtert zu erfahren, dass man nicht erfährt, wie es um seine Treue zu seiner Ehefrau steht. Es gibt also doch noch Grenzen. Und sie werden vom Showmaster de Winter sehr bewusst gezogen. Denn was man gestern Abend in einer sehr unterhaltsamen, spannenden und einnehmend sympathischen Lesung erfahren hat, hat man eigentlich schon aus seinen Büchern herauslesen können. Leon de Winter live gehört und gesehen zu haben, war jedoch ein echtes und einmaliges Erlebnis! Wir hoffen daher, dass sich seine Frau, die Schriftstellerin Jessica Durlacher mit ihrem Buch etwas beeilt, damit er wieder an der Reihe ist, „weinend aus dem Zimmer zu rennen“ und an einem neuen Buch zu schreiben.

Das Recht auf Rückkehr ist neu erschienen.

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