Magazin durchsuchen

Neuste Blogs

31. Oktober 2009, 16:08 Kultur

Können wir uns die Katastrophe nicht sparen, Herr Calvin? @ Neumarkt

Robert Salzer - Propaganda mal anders: statt Abstimmungsbüchlein muss ein Katastrophenfilm her. Der Bund scheut keine Mittel und besetzt die Rollen mit Filmgrössen aus Hollywood, so dass eigentlich nichts schiefgehen sollte. Angelina Jolie mit Mann Brad Pitt und adoptiertem Kind im Schlepptau,...

Propaganda mal anders: statt Abstimmungsbüchlein muss ein Katastrophenfilm her. Der Bund scheut keine Mittel und besetzt die Rollen mit Filmgrössen aus Hollywood, so dass eigentlich nichts schiefgehen sollte. Angelina Jolie mit Mann Brad Pitt und adoptiertem Kind im Schlepptau, Bruce Willis und Jodie Foster werden flugs aus Amerika eingeflogen. Eine Tramfahrt, also für den Bundesrat der direkte Kontakt mit dem Volk, und ein nächtliches Zwiegespräch mit Max Frisch und Jean Calvin persönlich, hat den Minister auf die glorreiche Idee gebracht. Damit auch etwas Heimatgefühl aufkommt, spielt zusätzlich „eine Schweizerin“ mit. Trotz Staraufgebot will am Set aber irgendwie nicht so recht Stimmung aufkommen. Viele Takes müssen mehrmals wiederholt werden und Effekte gelingen nicht wie sie sollten. Angelina Jolie fasst konsterniert zusammen, dass es zwar Tonnen Filmmaterial gäbe, aber darauf nichts zu sehen sei. Kurz bevor die Dreharbeiten erfolglos zu Ende gehen, bricht eine reale Katastrophe aus. Ein Monster namens „Fifty foot European“ sucht Zürich und seine Einwohner heim.

Eine schwierige Ausgangslage, die Jörg Albrecht hier geschaffen hat. Ein Stück, das sich vieler Klischees über die Schweiz bedient und ausserdem gar von einem Deutschen geschrieben wurde: Dies könnte im Theater Neumarkt vor kritischem Schweizer Publikum vortrefflich ins Auge gehen. Roger Vontobels Regie versteht es, die Steilpässe Albrechts nicht direkt zu verwandeln, sondern sie mit einem Augenzwinkern vortragen zu lassen, dass es selbst eingefleischten Patrioten schwerfallen würde, sich angegriffen zu fühlen. Viele Spitzen hat man auch schon gehört und wurden ausführlich thematisiert, so dass deren Schärfe fehlt. Dass Deutsche den Zürchern die Parkplätze wegschnappen, ist beispielsweise nichts, was heute noch für Aufregung sorgt.

Die Geschichte schreit nach einer multimedialen Umsetzung, der Vontobel gerecht wird. Nebst Livemusik von Gitarrist Murena werden die Schauspieler mittels Blue Screen ins Zürcher Niederdorf versetzt. Mit einer Minikamera wird die Altstadt von Zürich im detailgetreuen 1:60 Modell gezeigt. Laufbänder erzeugen den Eindruck, dass die Darsteller auf der Leinwand tatsächlich vor dem grossen Erdbeben fliehen. Alicia Aumüller, Jörg Koslowsky, Thomas Müller und Michael Ransburg dürfen die Hollywoodsternchen imitieren wie es ihnen gefällt und wie es ihnen und dem Publikum auch Spass zu machen scheint. Rahel Hubacher legt als „die Schweizerin“ und als Max Frisch ihr Bühnendeutsch für einmal beiseite und bringt ihren Dialekt voll zur Geltung, was passt und amüsiert.

Die Sprache Albrechts ist auf der Bühne nicht vorteilhaft oder verlangt eine andere Umsetzung. Viele Wortspielereien und Scherze, die man auf Papier gedruckt versteht und über welche man herzhaft lachen kann, gehen im Spiel und der Geschwindigkeit unter. Das Publikum amüsiert sich derweil über Situationskomik, beispielsweise wenn Godzilla und King Kong im Zürcher Lokalfernsehen aufeinandertreffen und über ihr Dasein sowie ihre Rolle philosophieren. Können wir uns die Katastrophe nicht sparen, Herr Calvin? Als Antwort hier ein klares Schweizerisches Jein, Prädestinationslehre hin oder her.

  • „Können wir uns die Katastrophe nicht sparen, Herr Calvin?“ von Jörg Albrecht
  • Regie: Roger Vontobel
  • Ort: Theater Neumarkt, Saal
  • Premiere: 31. Oktober; 1./10./11./12. November
Kommentare
Login oder Registrieren