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7. Dezember 2009, 00:00 Movie

Welcome

Christina Ruloff - Was sind Überzeugungen wert? Philippe Lioret schildert anhand seines fiktiven Dramas Welcome die Situation der illegalen Einwanderer in Calais und stellt die französische Flüchtlingspolitik in Frage. Am engsten Punkt trennen nur gerade 32 Kilometer die Küste Frankreichs vom E...

Was sind Überzeugungen wert? Philippe Lioret schildert anhand seines fiktiven Dramas Welcome die Situation der illegalen Einwanderer in Calais und stellt die französische Flüchtlingspolitik in Frage.

Am engsten Punkt trennen nur gerade 32 Kilometer die Küste Frankreichs vom Eldorado aller Illegalen und Flüchtlinge; an klaren Tagen kann man England sogar sehen – und doch bleibt das Land für viele unerreichbar. Bilal hat es in einer dreimonatigen Odyssee aus Mossul, Irak, nach Calais geschafft, sich auf Booten und unter Zügen versteckt. Doch hier ist Endstation. Wegen eines Foltertraumas hält er es nicht aus, mit einer Plastiktüte überm Kopf stundenlang und unbewegt in einem Lastwagen zu warten, bis die Grenzkontrolle passiert wurde. Die Ausdünstung von Feuchtigkeit wird von den Grenzpolizisten mittels modernster Technologie entdeckt, Bilal, seine verzweifelten Kollegen und der Schlepper verhaftet. Und nun, wie soll es weitergehen? Bilal ist zwar anerkannter Flüchtling und kann daher nicht aus Frankreich ausgewiesen werden. Doch sich in Frankreich eine Existenz aufbauen kann (und will) er auch nicht. Er muss dringend nach London, wo seine grosse Liebe Mina gegen ihren Willen von ihrem Vater einem entfernten Verwandten verheiratet werden soll. Die Zeit drängt und es gibt nur eine Möglichkeit – Schwimmen!

Jeder stirbt für sich allein - unter den Illegalen gibt es kaum Solidarität, jeder kämpft für sich und um sein Überleben.

In Frankreich hat Philippe Liorets Film eine öffentliche Diskussion über die Situation der Flüchtlinge, Migranten und Illegalen ausgelöst – der Paragraph, der es Einheimischen verbietet, den Flüchtlingen irgendeine Hilfeleistung zu erbringen und sei es auch nur ihnen eine Mitfahrgelegenheit zu geben, steht zur Debatte. Der Schwimmlehrer Simon steht stellvertretend für alle Zuschauer, die nichts mit Illegalen zu tun haben und nichts mit ihnen zu tun haben wollen. Nur um seine Exfrau zu beeindrucken, die sich immer über seine befremdliche, ja widerliche Gleichgültigkeit aufgeregt hat, lässt er den Teenager Bilal in sein Leben hinein. Er nimmt ihn nun nicht mehr als eine der stinkenden, düsteren Gestalten wahr, die von den Ordnungskräften verprügelt und nicht in den Supermarkt hineingelassen werden. Er sieht ihn als Ersatzsohn, als Freund und als Lebensinhalt, der seine Existenz mit Sinn und menschlichen Gefühlen füllt. Der herausragende Vincent Lindon macht also keinen Wandel zum hysterischen Gutmenschen durch, sondern handelt durchaus aus sehr nachvollziehbarem Eigennutz. Entsprechend ist es ihm egal, wenn ihn missgünstige Nachbarn anzeigen und die Polizei in aller Frühe seine Wohnung durchsucht.

Kein Gutmensch, sondern Mensch: Vincent Lindon spielt herausragend.

Man nimmt Lindon seine Motive ab und man vertraut dem Regisseur, weil er – in einfachen und klaren Einstellungen von Küste, Schwimmbad, Flüchtlingscamp und der uneinladend grauen Stadt Calais – eine realistische, glaubwürdige und wahre Geschichte erzählt und nicht mit den Emotionen der Zuschauer spielt oder das Publikum gar manipuliert. Daher können echte Anteilnahme und tieferes Interesse am Schicksal dieser fremden Menschen entstehen – in Calais und überall.

Bewertung: 5 von 5 Punkten

  • Titel: Welcome
  • Land: Frankreich
  • Dauer: 115 Minuten
  • Regie: Philippe Lioret
  • Darsteller: Vincent Lindon, Firat Ayverdi, Audrey Dana
  • Verleih: Agora Films
  • Release: 26. November
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