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6. Dezember 2009, 23:48 Kultur

Calvinismus Klein (+Schlingensief) @ Schauspielhaus

Robert Salzer - “Interpassives Theater“ gekreuzt mit Schlingensiefs durchaus aktivem Theater – wer soll da noch durchblicken?„Enthält der Pokal mit dem Portal den Wein mit der Pille?“„Nein, der Wein mit der Pille ist im Becher mit dem Fächer“ [...]„Der Pokal mit dem Portal hat ...

“Interpassives Theater“ gekreuzt mit Schlingensiefs durchaus aktivem Theater – wer soll da noch durchblicken?

„Enthält der Pokal mit dem Portal den Wein mit der Pille?“„Nein, der Wein mit der Pille ist im Becher mit dem Fächer“ [...]„Der Pokal mit dem Portal hat den Wein gut und rein.“ [...]„Aber nicht doch. Der Wein mit der Pille ist im Kelch mit dem Elch, der Becher mit dem Fächer hat den Wein gut und rein.“

Allein zwei Schauspieler stehen anfänglich bei René Polleschs Uraufführung „Calvinismus Klein“ auf der Bühne. Martin Wuttke, erst kürzlich als Hitler in „Inglorious Basterds“ von Tarantino in den Kinos zu beobachten, sowie Carolin Conrad, die in „Maria Stuart“ als Elisabeth im Schiffbau mitwirkte. Wer mit der Erwartung in den Pfauen geht, ein Stück mit klarer Dramaturgie und einem verständlichen Handlungsstrang zu sehen, wird sehr schnell enttäuscht. Der Diskurs über das interpassive Theater steht im Mittelpunkt des Stückes. Das interaktive Theater sei ein „jahrzehntelanger Terror“ gewesen und dazu noch eine „widerliche Kunstform der Geselligkeit“. Doch was soll interpassives Theater überhaupt sein? Polleschs Figuren erklären das so: „Das interpassive Theater, das Du bereits kennst, wäre zum Beispiel, der Schauspieler geht am Ende mit deiner Begleitung nach Hause. Dann musst Du das nicht tun. [...] Unsere intimsten Regungen können wir an andere delegieren.

Über dieses interpassive Theater wird dann den ganzen Abend lang gesprochen, wobei mal sie darüber referiert, mal er. Dazwischen gibt es zur Auflockerung immer wieder witzige Wortspiele, die so gar keinen Sinn machen, wie eben der oben aufgeführte Dialog über den „Kelch mit dem Elch“. Gibt man als Zuschauer relativ schnell die Hoffnung auf, irgend etwas komplett verstehen zu müssen, kann man sich an vielen kleinen Gags erfreuen, ansonsten ärgert man sich nur den ganzen Abend. Was das ganze mit Calvinismus und mit Calvin Klein zu tun hat, wird nicht wirklich klar, das Wortspiel ist aber trotzdem schön.

Zur Premiere und zu zwei weiteren Vorstellungen (letzte Gelegenheit am Dienstag, dem 8.Dezember) spannt das Schauspielhaus mit dem Theater Neumarkt zusammen. Während des gesamten Stückes gibt es Live-Videoübertragungen aus dem Neumarkt zu sehen, wo „Herr Andersen in 60 Minuten stirbt“. Unter der Regie von Christoph Schlingensief lernt dort Herr Andersen, der noch eine Stunde zu leben hat, das Sterben. Nach einer Videoschaltung ins Neumarkt, entscheidet sich Schlingensief „spontan“ mit der ganzen Crew und mitsamt Publikum zum Schauspielhaus aufzubrechen. Herr Andersen läuft mit einem Kreuz auf dem Rücken und der Dornenkrone aufgesetzt, mitsamt Chor durch das Zürcher Niederdorf in Richtung Schauspielhaus. Das Publikum im Neumarkt freut sich dann auch mehr über die Videoeinspieler der Prozession, als über das Treiben auf der Bühne. Irgendwann ist es dann soweit, Schlingensief füllt mitsamt Herrn Andersen, dem Neumarkt-Ensemble und dem Chor die bisher unternutzte Pfauenbühne und die zwei Produktionen werden kurzzeitig zu einer. Aus aktuellem Anlass kann es sich Schlingensief nicht verkneifen, ein paar Schweizer Zitate zur Minarettinitiative vorzulesen, was den Zuschauern hörbar gefällt. Irgendwann muss die Prozession dann aber wieder weiter, denn „Sterben geht vor“. Herr Andersen zieht wieder in Richtung Neumarkt und „Calvinismus Klein“ wird beendet (übrigens vorzeitig: laut Script hätte da noch mehr kommen sollen, scheinbar hat das Timing nicht ganz gestimmt...). Schlingensief hat an jenem Abend Pollesch vollkommen die Show gestohlen.

  • „Calvinismus Klein“ von René Pollesch
  • Regie: René Pollesch
  • Ort: Pfauen
  • Premiere: 4. Dezember
  • weitere Vorstellungen: 8., 14., 16., 18. Dezember; 6., 11., 14., 16., 31. Januar
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