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9. Dezember 2009, 18:53 Movie

Der Fürsorger

Christina Ruloff - Würden Sie diesem Mann Ihr Geld geben? Lutz Konermanns (hier geht es zum Interview!) äusserst gelungenes Porträt des Millionenbetrügers Hans-Peter Streit ist nicht weniger als eine spannende Studie des Durchschnittsmenschen und seiner Bereitschaft, alles zu glauben, was in se...

Würden Sie diesem Mann Ihr Geld geben? Lutz Konermanns (hier geht es zum Interview!) äusserst gelungenes Porträt des Millionenbetrügers Hans-Peter Streit ist nicht weniger als eine spannende Studie des Durchschnittsmenschen und seiner Bereitschaft, alles zu glauben, was in sein Weltbild passt. Daneben unterhält der Fürsorger prächtig mit irrwitzigen und berührenden Szenen.

Im Film heisst der Hochstapler Hans-Peter Stalder, schaut fast immer treuherzig aus seiner Wäsche und erzählt in vertrauenswürdigem, nicht allzu breitem Dialekt die wahrsten Wahrheiten, die der Kleine Mann eigentlich schon immer geahnt hat, aber sonst nur am Stammtisch zu äussern wagt: Die Herrschaften da oben betrügen und prellen den braven Büezer, der sich Tag für Tag die Knochen wund schuftet. Die haben einen Geheimcode, der auf magische Weise zur Geldvermehrung führt und Renditen von bis zu 50% abwirft! Natürlich behalten die dieses Mehrwissen streng für sich. Aber der gute Hans-Peter ist ein anständiger Kerl, „einer von uns“ und will, dass alle am grossen Kuchen teilhaben. Deshalb schleppen die arglosen Bürger, vom Säufer über die Hausfrau zum Bürgermeister ihre gesamten Ersparnisse mit glänzenden Augen zu Hans-Peter Stalder. Und er verjubelt das Geld, um sich eine Familie, mehrere Geliebte und ein Luxusleben zu finanzieren...

Lüge und Wahrheit: Hans-Peter kann (und will in diesem Fall) nicht unterscheiden...

„Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?", hiess es auf einem Wahlplakat der Demokraten unter dem Konterfei von Richard Nixon. Bekanntlicherweise hat Nixon den Wahlkampf verloren. Stalder, wie er im Film heisst, erschwindelte sich mit seinen irrsinnigen Märchen Millionen. Das ist Fakt, aber schier unglaublich. Denn der herausragende Roeland Wiesnekker verleiht der Hauptfigur weder ein gewinnendes Äusseres, noch allzu viel Charme. Der an sich brave, ja biedere und vor allem sympathische Mann stolpert durch Zufall in die Geschichte hinein und wundert sich selber am meisten darüber, wie ihm geschieht. Mit ihm wundert und amüsiert sich das Publikum über die obszöne Dummheit der eifrigen Anleger. Vielleicht – und das ist der spannendste Aspekt des Films – ist Stalder mit seinem Schneeballsystem aber gar nicht so weit gekommen, weil er überdurchschnittlich intelligent oder gerissen war; wahrscheinlich waren es gerade seine Durchschnittlichkeit, die ihn vertrauenserweckend machte, und seine Fähigkeit, die Bedürfnisse seiner Mitmenschen so exakt zu erkennen. Ob dem armen Schlucker, dem protzigen Grossunternehmen oder der hübschen Studentin: Allen präsentierte er sich als Spiegel ihrer selbst und erzählte ihnen genau, was sie hören wollten. Er bestätigte ihr Weltbild und baute so alle Hemmschwellen der Vernunft ab. Am Ende trat die ungezügelte Gier zu Tage, die heute im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise gegeisselt wird, aber offenbar eine Kerneigenschaft des Menschen ist.

Drei Betrüger und ein Baby: Wer ist der Vater?

Lutz Konermann und sein grossartiges Ensemble verdeutlichen dies auf eindrückliche Weise. Es sind die vielen kleinen Momente, die diesen Film ausmachen – scheinbar nebensächliche Bemerkungen oder kurze Reflexe, in denen sich das Publikum wieder finden kann, wenn es sich denn traut. Der Fürsorger spiegelt nämlich die Schweiz und ihre (auch sprachlichen) Eigenheiten bewundernswert getreu wieder. Schade ist einzig, dass der Film unentschlossen zwischen den einzelnen Genres hin- und herpendelt: Für eine Satire zu wenig bissig, für eine Komödie oftmals zu ernsthaft und für ein Drama zu wenig dramatisch, bleibt der Film (auch das ist sehr helvetisch) ein liebenswertes Mittelding. Äusserst sehenswert und amüsant ist Der Fürsorger trotzdem, formal und visuell überzeugt er sowieso auf der ganzen Linie! Hingehen!

Bewertung: 4 von 5

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