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3. Oktober 2010, 09:31 Kolumnen

Shots no. 9: Hitchhiker’s Guide to Nationality

Dominik Mösching - Ich hielt an. Der Anhalter humpelte die paar Schritte zum Auto, öffnete die Tür und stieg ein. Sein Gesicht war von Wind und Wasser gegerbt, und sein Akzent war sonderbar.

Er sei Fischer, lebe in einem Reservat im Westen Vancouver Islands (das ich Tags zuvor zufälligerweise vom Ausflugsboot aus erspäht hatte) und wolle seine kranke Schwester in Nanaimo besuchen. Endlich hatte ich also die Gelegenheit, ein paar Worte mit einem Mitglied einer First Nation zu wechseln. Oder wie wir Karl May-geprägten Bleichgesichter auch zu sagen pflegen: einem Indianer.

Er war äusserst gesprächig, und schnell entwickelte sich ein höchst interessanter Monolog. Er habe Blut zweier Häuptlings-Familien in sich, was ihn zu einem wachsamen Auge auf die öffentlichen Angelegenheiten verpflichte; er sei nicht zufrieden mit der Politik der aktuellen Clan-Häuptlinge, deren es zwei gebe, nämlich den Chief durch Erbschaft und den gewählten Chief Councillor; die Führungsschicht verfolge nur ihre eigenen Interessen und stecke mit den Holz-Konzernen unter einer Decke; von den Millionenerträgen der Fischfarmen, finanziert durch Steuergelder, habe er noch nie einen Penny gesehen; und ruchlose Neuzuzüger, die die teilautonomen Reservate als Schutz vor dem kanadischen Arm des Gesetzes ausnützten, brächten Unruhe und Kriminalität in die Gemeinde.

Es war nicht nur die lokale Situation der Ahousaht-Nation, die mich faszinierte. Vielmehr verblüffte mich, wie wohlbekannt der politische Diskurs selbst in entlegenen Winkeln von Vancouver Island doch zu tönen scheint. Manchmal fragt man sich, ob es universelle Phänomene gibt, die in allen Kulturen existieren. Kann es sein, dass das Rollenmodell des unzufriedenen Normalbürgers tatsächlich eine solche menschliche Konstante darstellt?

Andererseits – so entlegen wohnen auch die Ahousaht nicht mehr. Satellitenschüsseln, Budweiser und panzergrosse Pick-Ups weisen auf eine recht umfassende Integration in die kanadische Gesellschaft hin. Fast scheint es, als werden die Natives von der viel später angekommenen anglophonen Leitkultur wie eine X-beliebige Migranten-Community behandelt. Auf dem Campus der University of British Columbia (UBC) in Vancouver sind Native-Americans jedenfalls nur eine unter vielen Bindestrich-Nationalitäten wie den Italo-, Afro- oder Franko-Kanadiern. Die grosse Mehrheit der Studierenden hat übrigens asiatische Vorfahren, weshalb die UBC gerne auch University of a Billion Chinese genannt wird, wie mir ein Korea-Kanadier lachend erzählte.

Hm. Wie definiert sich das eigentlich schon wieder, dieses Ding namens „Nation“?

Abgelegene First Nation-Siedlung bei Tofino, Vancouver Island.

Panzergrosse Pick-Ups: Fortbewegungsmittel und Statussymbol der nordamerikanischen Zivilisation.

Nation: Ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile?

Bisherige Shots From the Road findest du hier.

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