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22. Oktober 2010, 08:01 Movie

Interview mit Cihan Inan, Regisseur von 180°

Raphaël Rück - Students.ch hat den türkisch-schweizerischen Theater- und Filmregisseur Cihan Inan in Zürich getroffen. Auf der Polyterasse hat er uns von seinem jüngsten Film „180° - Wenn deine Welt plötzlich Kopf steht“ erzählt.Wieso dieser Film?Ich habe ja das Drehbuch geschrieben. ...

Students.ch hat den türkisch-schweizerischen Theater- und Filmregisseur Cihan Inan in Zürich getroffen. Auf der Polyterasse hat er uns von seinem jüngsten Film „180° - Wenn deine Welt plötzlich Kopf steht“ erzählt.

Wieso dieser Film?

Ich habe ja das Drehbuch geschrieben. Dieser Film ist ein Herzblutprojekt, weil ich einerseits einen andern Film verloren habe und es im Film auch um Verlust geht: Die deutsche Mutter verliert ihr Kind, andere verlieren ihre Identität und müssen eine neue suchen, müssen sich in der Gesellschaft integrieren. Die Clichés, die ich am Anfang setze von der türksichen, der deutschen und der schweizer Familie und die gegen Schluss teilweise aufgebrochen werden, haben damit zu tun, dass ich mich dafür interessiere was sich hinter der Fassade der Leute versteckt, die man oberflächlich anschaut und verurteilt. Es ist eine persönliche Frage, die ich mir auch immer wieder stelle: Wie wirk ich? Wie bin ich? Was steckt alles in mir drin? Zudem ist mir die türkische Familie natürlich sehr nah. Sie ist quasi ein Abbild meiner eigenen Familie. Der türkische Vater insbesondere, er ist eins zu eins mein Vater! (lacht)

Wie bist du zum Stoff gekommen?

Die Inspiration war dieser Fall von Amoklauf 1986. Günther Tschanun war ja 3 Wochen auf der Flucht bis er im Burgund gefasst wurde, weil er seiner Geliebten eine Postkarte nach Zürich geschickt hatte. Das war die eine Idee, ich wollte ihn auf der Flucht zeigen, denn niemand weiss was mit ihm während diesen drei Wochen wirklich passiert ist. Da konnte ich als Regisseur eine Fiktion draus machen und meine eigenen Behauptungen aufstellen. Die Medienwelt ist ja sehr ausführlich auf das Ereignis eingegangen. Ich wollte auch die verschiedenen Parallelwelten von ganz normalen Menschen wie du und ich zeigen, die türkische Familie, die deutsche Familie und das Schweizer Pärchen, die alle durch diesen Clash aufeinandertreffen. Wie kommen die vielleicht auch in einen explosiven Zustand, wo sie evt. Amok laufen könnten? Bei allen Figuren habe ich ein Moment des Durchdrehens zu erarbeiten versucht: Wenn der Manager sein Auto verkratzt oder im Moment in dem die junge Schweizerin einer fremden Frau einen Blumenstrauss schenkt, auch das ist für mich eine Übersprungshandlung.

Über welche Zeitspanne ist der Film entstanden?

Insgesamt sieben Jahre. Anfangs 2004 habe ich das Buch fertiggeschrieben. Es brauchte dann dreieinhalb Jahre bis Jemand das Buch in der Schweiz tatsächlich las. Ich war bei einigen Produzenten, aber da ich aus dem Theater komme und vor allem in Deutschland bekannt war, kannte man mich zu dieser Zeit gar nicht. Ich war einer unter Tausenden bis Anne Walser (C-Films AG) mein Buch las und entschloss daraus ein Film zu machen. Dann ist alles sehr schnell gegangen. Bis 2008 war der Film fixfinanziert und somit konnten wir im März 2009 mit den Dreharbeiten loslegen.

Wie sind die Dreharbeiten verlaufen?

Fünf Wochen Dreharbeiten, 25 Drehtage mit soviel Locations und so vielen Hauptdarstellern, das war extrem. Dank den Schauspielern, die meist auf ihre Gagen verzichtet haben wurde der Film überhaupt erst realisierbar. Die Zusammenarbeit mit den Schauspielern war hervorragend. Ich hatte schon 2005 alle Rollen besetzt. Über so eine lange Phase hinweg hatte ich reichlich Zeit die geeignetste Besetzung zu finden. Mein Cast ist auch ziemlich unüblich für die Schweiz. Es sind nicht nur grosse Namen, denn ich wollte dass die Geschichte im Vordergrund steht und auch authentisch wirkt. Diese Idee durchzusetzen war nicht so leicht, denn unter diesen Bedingungen fällt die Vermarktung eines Films viel schwerer.

Wie eignet sich Zürich als Drehort?

Am Anfang war es schwierig Locations zu finden, denn der Film hiess ursprünglich „Amok“ und die Leute wollten keinen Film mit diesem Namen unterstützen. Kurzfristig haben wir ihn auf „Sackgasse“ umgetauft und von da an hatten wir keine Probleme in Schulen und Spitälern zu drehen. Ich glaube Zürich hat wirklich Filmstadt-Potenzial, es gibt so viele gute Locations.

In deinem Film porträtierst du ja verschiedene Typen von Schweizern. Versteckt sich hinter dem Film auch eine Gesellschaftskritik?

Ja natürlich. Insgesamt sieht man das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Gesellschaftsschichten: Sei es das Yuppie-Paar, seien es die armen Türken, die als Lebensziel haben einen Kebabladen aufzumachen. Innerhalb der Familie herrschen schon wieder andere Situationen: Die Tochter, die in einer Bank arbeitet und einen Schweizer Freund hat, der Sohn, der ausschliesslich Deutsch redet und der andere der nur Türkisch redet und sich nicht integrieren will. Für mich sind in diesem Film alle Schweizer.

Wie macht man einen Film in einem langweiligen Land wie die Schweiz?

Der Film ist rein mit schweizerischen Geldern finanziert worden. Er ist ein Abbild von Zürich, von einer Grossstadt, könnte aber auch Berlin oder London sein. Ich wollte mit diesem Film beweisen, dass es in der Schweiz möglich ist Themen aufzugreifen, die städtisch sind. In der Schweiz spielen 80% der Filme in den Bergen und ich fand, dass auch urbane Geschichten einen Platz verdienen. In der Schweiz gibt es auch spannende Geschichten zu erzählen!

Kommt der Film auch im Ausland in die Kinos?

Im deutschsprachigen Ausland versuchen wir ihn bis nächstes Jahr auf die Leinwände zu bringen. Wir waren kürzlich in der Türkei in Antalya am grössten türkischen Filmfestival und dort haben wir jetzt Verleiher an der Angel, die interessiert wären den Film auch in der Türkei zu zeigen.

Cihan Inan

Siehe auch Filmkritik: http://www.students.ch/magazin/details/45517/180-Wenn-deine-Welt-ploetzlich-Kopf-steht?ref=blogpost-teaser-title|

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