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29. Dezember 2010, 15:33 Kolumnen

Shots no. 18: Von Feinden und Helden

Dominik Mösching - Zwischen Weihnachten und Neujahr in Argentinien: Das Feiertagsfernsehen flimmert mit der Luft über den aufgeheizten Strassen um die Wette.

Momentan gibt es auf den Trottoirs von Buenos Aires ein bisschen mehr Platz. Wer noch nicht in die Ferien nach Mar del Plata, dem argentinischen Miami, geflüchtet ist, wartet träge in einem Einkaufszentrum oder im Büro auf längere Schatten. (Dann ist zumindest eine Trottoirseite wieder ohne Sonnenstichgefahr begehbar.) Die Klimaanlagen laufen auf Hochtouren. Dass es mindestens alle zwanzig Meter von einem Balkon nach unten tropft, ist ihrem Kühlsystem zu verdanken und nicht etwa einer koordinierten Geranium-Tränk-Aktion aller Bewohner. Das würde schon deshalb nicht passieren, weil die Behörden explizit vom übermässigen Giessen der Pflanzen abraten und auch die Parks lieber zu Sahelzonen mutieren lassen – die gemeinen Dengue-Fieber-Mücken lieben Feuchtgebiete.

Und so können die argentinischen Medien ihre Altjahrswoche mit einem angenehmen, weil unaufwändig zu recherchierenden Thema bestreiten: Dem Wetter. In bester CNN-Manier schreit uns canal trece den Slogan DIE HITZE. UNSER FEIND entgegen. Dazu flimmern in der Endlosschlaufe Bilder über den Äther, die ich nicht vollständig den aufgeregten Grossbuchstaben zuordnen kann. Leichtbekleidete Chicas baden in einem Brunnen, ein junggebliebener Altmacho mit ultrahässlicher Sonnenbrille gibt ein Statement von sich, ein Bus fährt vorbei, Menschen betreten ein Einkaufszentrum, ein Korrespondent mit zu warmem Outfit steht im Park. Kurz sind die wiederholten Stromausfälle in der Stadt ein Thema, die an Heiligabend zu Demonstrationen erzürnter Weihnachtsbratenkäufer geführt hatten, weil ohne laufenden Kühlschrank der Familienschmaus vom 25. auszufallen drohte. Danach bestimmt wieder UNSER FEIND das Bild.

Schliesslich wechselt das Programm, und der Moderator kündigt das angenehme, weil vorrecherchierte Thema 2010 an. Emotionaler Höhepunkt des Jahres sowie der Sendung ist der Tod des Ex-Präsidenten Néstor Kirchner Ende Oktober. Wir sehen noch einmal die versammelten Staatschefs Lateinamerikas, die Kirchners Frau, Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, ihr Mitgefühl aussprechen. Wir sehen traurige Menschen in der Warteschlange zum letzten Geleit, und da sehen wir auch noch einmal den Herrn, der mit seinem spontanen Ave Maria alle zu Tränen rührte. Inklusive der anwesenden Politiker natürlich. Ich erinnere mich an einen damaligen Kommentar in einer chilenischen Zeitung. Der Tod sei in Lateinamerika wie kaum woanders ein politischer Faktor. Er sorge für eine Einheit (der trauernden Lebenden) und eine Gleichheit (von Mächtigen und Ohnmächtigen), die auf diesem Kontinent schon immer eher Sehnsucht als Realität gewesen seien. Gleichzeitig konstruiere er die mythischen Helden, die dieser Kontinent so möge. Unschärfen verschwinden, Kritik verblasst, und übrig bleiben die Säulenheiligen eines Kollektivismus, der die Politik dominiert. Sei er nun katholisch, nationalistisch, marxistisch oder indigen-gemeinschaftlich inspiriert.

Geht es nach Cristina, hängt Néstor schon bald neben Bolívar, Perón und Guevara in der Galerie der lateinamerikanischen Patrioten in ihrem Regierungssitz. Doch das ist dann ein Thema für nächstes Jahr.

Der Friedhof der Mächtigen in Recoleta will gepflegt werden. Auch bei sechsunddreissig Grad.

Warten auf längere Schatten.

Jahresende in Buenos Aires: Heisslaufende Klimaanlagen und Statue.

Wer steigt als Nächstes in die Säulenhalle der lateinamerikanischen Helden auf?

Bisherige Shots From the Road findest du hier.

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