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11. Januar 2011, 23:37 Kultur

Ödipus und seine Kinder

Robert Salzer - Gleich vier antike Stoffe werden aktuell im Schiffbau verarbeitet. Unter dem Titel „Ödipus und seine Kinder“ erzählt das Schauspielhaus in 3 ½ Stunden die Geschichte der gesamten Familie des Mutterheiraters.Um es antik auszudrücken: Eine wahre Herkulesarbeit hat sich das...

Gleich vier antike Stoffe werden aktuell im Schiffbau verarbeitet. Unter dem Titel „Ödipus und seine Kinder“ erzählt das Schauspielhaus in 3 ½ Stunden die Geschichte der gesamten Familie des Mutterheiraters.

Um es antik auszudrücken: Eine wahre Herkulesarbeit hat sich das Team um Regisseur Sebastian Nübling aufgebürdet. Vier Stücke, die sonst einzeln ganze Theaterabende füllen, werden im Schiffbau zu einem Stück vereint. Ziel ist es, die Geschichte der gesamten Familie des Ödipus zu erzählen. Die Frage, die sich stellt: Ist diese Verstrickung ein erzählerischer Gewinn oder Überladung?

So richtig bekannt ist Ödipus eigentlich nicht aufgrund des Dramas, sondern aufgrund Freuds Verwendung des Namens, um damit die Liebes- und Hassbeziehungen eines Kindes zu seinen Eltern zu erklären. Wir erleben Ödipus (Tim Porath) zu Beginn des Stückes im Exil in Kolonos, nachdem er sich selbst blendete, als er erkennt, dass er seinen Vater erschlagen und die Mutter geheiratet hatte.

Die Erzählung startet also mit Sophokles Drama „Ödipus auf Kolonos“, in welchem Ödipus verbittert auf sein Leben zurückschaut und schliesslich stirbt. Die Weissagung von Ödipus an seinen Sohn Polyneikes, dass dieser seinen Bruder Eteokles töten wird und dabei selbst stirbt, leitet zu den nächsten beiden Dramen über: „Sieben gegen Theben“ von Aischylos und „Die Phönizierinnen“ von Euripides erzählen die Geschichte des Kampfes der beiden Söhne von Ödipus um die Herrschaft von Theben und die vergebenen Vermittlungsversuche der Mutter, bzw. Grossmutter Iokaste. In das letzte Stück, nämlich Antigone von Sophokles, gelangt man nach dem tatsächlich eintreffenden Tod der beiden Brüder. Antigone will Polyneikes trotz dem Verbot des Herrschers und Onkels Kreon begraben. Dies führt dazu, dass auch sie stirbt. Man erlebt an diesem Abend also den Untergang der gesamten Familie – von der Verbannung Ödipus bis zum Tode des letzten Kindes.

Hier noch für die Lesefaulen unter euch ein youtube-Video, das den Stammbaum der Familie zeigt.

Das gesamte Stück spielt in der grossen Schiffbauhalle auf einer zweigeschossigen halbrunden Bühne aus dunklem Holz, die vielleicht an die griechischen Theaterschauplätze erinnern soll. Sie wirkt wie eine Mischung aus einer Baustelle und einer Wildwest-Barracke. Für den Wilden Westen spricht die Hintergrundmusik, die auch aus einem Western-Film von Sergio Leone stammen könnte. Die Figuren kleiden sich so gut wie alle in zeitgenössische Gewänder der oberen Preisklasse. Ist denn das Stück nun im Heute angesiedelt? Man weiss es nicht so recht, denn bis auf einige wenige Andeutungen wie das Ansingen von zeitgenössischer Musik oder eben der Kleidung gibt es eigentlich keine Hinweise darauf. Die Inszenierung soll zeitlos wirken, ist aber unentschlossen. Und auch das Spiel wirkt wahnsinnig weit weg. Man schaut einer Familie beim Untergang zu, ist aber selber eigentlich nicht betroffen. Hin und wieder blitzen wunderbare Zitate auf, die auch aus der Feder heutiger Autoren stammen könnten wie „Wenn man schon Unrecht tut, sollte man es für die Macht tun, das macht das Unrecht schöner“, oder Konstellationen zwischen Familienmitgliedern, denen man selber schon begegnet ist. Doch dann fällt man wieder ins Beobachten zurück und hört beispielsweise dem antiken Chor zu, der herrlich choreographiert die Schlacht der beiden Brüder begleitet. Der Chor besteht vorwiegend aus jungen Leuten, die ähnlich wie die Masse im Fussballstadion den Kampf anfeuern und begleiten. Die Hauptfiguren des Geschichte, Ödipus und seine Kinder, bleiben den ganzen Abend unnahbar und es ist sehr schwierig, sich mit ihnen in irgendeiner Weise zu identifizieren. Vielleicht noch am ehesten mit Tochter Ismene, die in der Familie der ruhige Pol zu sein scheint, aber in der Inszenierung nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Die dramatische Vervierfachung ist ohne Zweifel ein erzählerischer Gewinn. Nach dem Abend im Schiffbau versteht man aber, warum die griechischen Dramatiker sich auf einzelne Teile und Figuren konzentrieren, denn auch in einem langen Abend kann nur an der Oberfläche gekratzt werden.

Ödipus und seine Kinder im Zürcher Schiffbau. Weitere Informationen auf www.schauspielhaus.ch

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