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25. Februar 2011, 12:47 Music Interview

Poesieperlen und Wolkenkratzer

Melanie Pfändler - Wer in einem Lexikon den Begriff „Kosmopolitin“ nachschlägt, darf sich nicht wundern, wenn ihm Keren Ann Zeidel aus dem Buch entgegenblickt. Die Chansonnière hat israelische Wurzeln, lebt in Paris, New York und Tel Aviv und besitzt die niederländische Staatsbürgerschaft. ...

Wer in einem Lexikon den Begriff „Kosmopolitin“ nachschlägt, darf sich nicht wundern, wenn ihm Keren Ann Zeidel aus dem Buch entgegenblickt. Die Chansonnière hat israelische Wurzeln, lebt in Paris, New York und Tel Aviv und besitzt die niederländische Staatsbürgerschaft. Vielleicht liegt es an diesen biographischen Umwegen, dass ihre Lieder Momente einfangen, die sich überall auf der Welt abspielen könnten.

Keren Anns Musik scheint in einer zeit- und raumlosen Sphäre zu schweben; verströmt eine harmonische, einlullende Melancholie – doch nur auf den ersten Blick. Wer sich etwas Zeit nimmt, entdeckt in ihren neusten Album „101“ geschickte Raffinessen: Funkelnde Poesieperlen, bissige Ironie, kreative Kurzschlüse. Und bei Songs wie „Sugar Mama“ und „Blood on my hands“ darf man sogar mitwippen.


Im Interview mit Students.ch erklärt Keren Ann, welche Ideen einem auf einem Wolkenkratzer in Taipei kommen können, was einen guten Texter auszeichnet und wie man auch als Atheist ein eingefleischter Bibel-Fan sein kann.


Der Krimiautor Peter Robinson beschreibt "101" als einen Wolkenkratzer und vergleicht die einzelnen Lieder mit den Zimmern, den Geschichten hinter den Fenstern. Ist das seine Interpretation oder war das deine Absicht?
Nein, das Album ist tatsächlich vor diesem Hintergrund entstanden. Ich hatte eine ganze Menge an Lied-Fragmenten beisammen, wusste aber nicht, wie ich diese unter einen Hut bringen soll. Dann, eines Nachts nach einem Konzert, wurde ich in die 101. Etage eines Wolkenkratzers eingeladen. Er stand in Taipei, doch dieses urbane Lichtermeer zu meinen Füssen hätte auch New York, Paris oder Tel Aviv sein können. Da kam mir die Idee, diese einzelnen Bruchstücke so zusammenzufassen, als würde ich von einem Hochhaus aus auf sie hinuntersehen. Das war sozusagen ihr kleinster gemeinsamer Nenner – und das jeder ein kleines Stück von mir enthält.


Entdecken jene Leute, die dich gut kennen, dich in den Liedern? Ruft deine Mutter dich an und sagt „Na Keren, das ist jetzt wieder typisch für dich“?
(Lacht) Meine Mutter eher weniger. Das liegt daran, dass ich mein privates Leben bewusst sehr privat halte – sie kennt die Musikerin Keren Ann nicht wirklich. Aber Leute, die mit mir arbeiten, erkennen mich sicherlich darin wieder.


Deine Texte machen deutlich, wie genau du beobachtest. Du nimmst eine ganz gewöhnliche Alltagsszene und sezierst sie regelrecht. Eine Gruppe schöner Frauen, steht in einem Zimmer und nippt an Weingläsern...
Ich glaube, dass es so etwas wie eine „gewöhnliche“ Situation eigentlich gar nicht gibt. Bei „All the beautiful Girls“, das Lied, worauf du anspielst, habe ich an die New Yorker Künstlerszene der 70er-Jahre gedacht, an den Loft eines Malers. Ist das eine gewöhnliche Situation? Ich weiss es nicht. Jeder Tag ist für sich einzigartig. Darum versuche ich auch jeden Tag etwas zu tun, das mich persönlich weiterbringt.


Du entlockst diesen alltäglichen Situationen Geheimnisse, die andere nie sehen würden.
Das ist doch, was Schreiben bedeutet.


Also siehst du dich selbst auch als Lyrikerin?
Aber natürlich. Ich arbeite ganz bewusst an meiner Poesie. Ich würde niemals ein Lied aufnehmen, wenn ich nicht 100% hinter dem stehen könnte, was es aussagt. Die Poesie muss genauso gut sein, wie die Melodie.


Das merkt man deinen Texten auch an! „My name is trouble, my first name’s a mess“, „If you let me hold you I won’t hold my breath“ – wie kommst du auf solche lyrischen Edelsteine? Ist das harte, intellektuelle Arbeit oder ein kreativer Geistesblitz?
Ich liebe es, Wörter zu verdrehen und mit ihnen zu spielen! Wie lange das dauert, kommt ganz drauf an. An gewissen Texten beisse ich mir die Zähne aus, das kann dann schon ein paar Tage dauern. „All the beautiful Girls“ war so ein Fall, den musste ich immer wieder zur Seite legen. „My name is trouble“ habe ich aber zum Beispiel in 10, 15 Minuten geschrieben.


Schreibst du auch Texte, die nicht zu Liedern werden?
Nein. Ein Gedicht zu schreiben, ohne es in ein Lied zu packen, finde ich irgendwie unbefriedigend. Aber es gibt schon immer wieder aussergewöhnliche Projekte: Im Moment arbeite ich zum Beispiel gerade an einer Oper – das ist natürlich eine ganz neue Erfahrung.


Der Text eines Liedes ist besonders auffällig: Wie ist diese hypnotische Aufzählung in „101“ entstanden?
Die Idee für das Konzept mit den 101 Kapiteln kam mir auf dem besagten chinesischen Wolkenkratzer, doch ich schrieb das Lied erst viel später. Manche Kapitel entstanden spontan, andere bereiteten mir etwas Mühe.


Was steckt hinter den sechsundneunzig Männern in Uniform?
Das ist eine Armeeeinheit in Israel.


Das macht Sinn! Der Text steckt voller Anspielungen auf Israel, die jüdische Kultur und zitiert viele Bibelpassagen.
Ja, das stimmt. Ich bin wirklich überhaupt nicht religiös, aber ein grosser Fan der Bibel! Sie ist ein wunderbarer Krimi, eine fantastische Liebesgeschichte – einfach das beste Buch überhaupt.


Dennoch endet das Lied mit dem Satz „one God“. Und im Booklet verwendest du die hebräische Schreibweise.
Du kannst es nennen, wie du willst. Wenn es einen Grund für dich gibt, morgens aufzustehen, heisst das gezwungermassen, dass du an etwas glaubst. Für einen Künstler gilt das vielleicht umso mehr: Du lässt etwas geschehen, glaubst an etwas. Ich nenne das nunmal gerne Gott.


In "Song from a Tour Bus" schreibst du: „The truth don’t matter. The past don’t matter. Nothing matters but love.” Ist das wahr?
Ja.

Punkt.

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