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8. März 2011, 00:00 Kolumnen

Seltsame Begegnung (2)

christian zweifel - Boston- da musste ich hin, denn dort gab und gibt es eine ganz tolle Musikschule namens Berklee College of Music. Noch keine neunzehn Jahre jung, träumte ich den Traum des Musikers und durfte das erste Mal amerikanische Luft schnuppern. Die Städte jenseits des Atlantiks ticken ...

Boston- da musste ich hin, denn dort gab und gibt es eine ganz tolle Musikschule namens Berklee College of Music. Noch keine neunzehn Jahre jung, träumte ich den Traum des Musikers und durfte das erste Mal amerikanische Luft schnuppern. Die Städte jenseits des Atlantiks ticken anders als die unseren, und wenn der Europäer seinen Fuss in eine dieser pulsierenden Grossstädte setzt, dann fühlt er sich da erst einmal verloren.

Unbeholfen stand ich am Taxi Stand, bis mich endlich eines der Gelben mitnahm, und verriet mich sogleich als Festlandeuropäer: “Commenwealth 270“. Zahl nach Strassenname, das funktioniert in Amerika nicht. Der Taxler quittierte die Adresse mit einem unfreundlichen „What?“. Es schien in ganz Boston keine Strasse mit diesem Namen zu geben. Da erinnerte ich mich an den Zettel, den mir meine Eltern zum Abschied zugesteckt hatten und auf dem die Adresse korrekt geschrieben stand. Hastig klaubte ich das Papierchen aus meiner Jackentasche. „Ah, you mean C-o-m-m-e-n-wealth“, sagte der Fahrer, wobei er die ersten handvoll Buchstaben des Strassennamens wie ein Akkordeonspieler auseinanderzog. Dann versetzte er seinem gelben Pferdchen einen tüchtigen Stoss, und los gings.

An der Schule dann die nächste Überraschung: Das Kursgeld sei von der zuständigen Bank noch nicht überwiesen worden und solange das nicht geschehen sei, könne man mir keine ID- Card ausstellen, und ohne eine solche müsse ich nach spätestens drei Wochen wieder abreisen. Na das waren ja schöne Aussichten: Koffer packen und einen Dritteltag Flugreise, sollte das etwa alles umsonst gewesen sein ? Nun kam ich mir vor wie ein Vagabund, der sich auf Kosten der Schule ein Essen und Schlafplatz erschleichen wollte, denn an jeder Ecke lauerte ein Sicherheitsbeamter und brüllte: „Where is your ID- Card?“.In Amerika besitzt jede Institution ihre Ausweise und Uniformen. Diese beiden Elemente sind da drüben eine Art Statussymbol: Je zahlreicher, desto mächtiger. Sie sind aber nur in gleichzeitiger Ausführung brauchbar, denn ohne Uniformen ist so ein Ausweis bedeutungslos, da jene, die nicht im Besitz eines solchen sind, nicht geknüppelt werden können, und umgekehrt hätten die Uniformen ohne die Existenz von Ausweisen keine Arbeit, weil es dann nichts zu knüppeln gäbe.Aber dann kam die lang ersehnte Nachricht: Die Bank hatte doch noch richtig funktioniert. Stolz hielt ich von nun an den Uniformen meine ID- Card unter die Nase und konnte endlich ohne die alles bestimmende Frage „Where is your...?“ passieren.

Noch am selben Tag ergatterte ich mir einen Stadtplan, um die Bostoner Sehenswürdigkeiten zu erkunden. Mein erste Station war das Prudential Center, dessen gläserne Silhouette sich aus einigen Kilometern Entfernung abzeichnete. Ich überquerte Strasse um Strasse und erreichte nach einigen Umwegen eines der grössten Einkaufshäuser Amerikas. Man kann dort ohne weiteres einen ganzen Tag verbringen und sich als Schnäppchenjäger wie die Maus durch ein Wirrwarr von Rolltreppen und Gängen wühlen.Nun war ich froh, da den Ausgang wiedergefunden zu haben. Aber der Rückweg ?Der Stadtplan fing an, mich zu betrügen, denn statt der gepflegten Boylston Avenue traf ich alsbald auf ausladende Seitenstrassen mit ihren verrussten Häuserfassaden. Abermals wechselte ich die Richtung, doch die Gassen wurden nur noch unfreundlicher. Da stand ich nun mit meinem Stadtplan in der Hand, hilflos und verloren. Die Trostlosigkeit dieser Townships hatte mich schon längst verschluckt. Verzweifelt suchte ich nach einem Taxi, aber da war keines. Statt dessen fand ich mich plötzlich in Begleitung zweier Halbwüchsiger wieder, die mit ihren Rädern neben mir herfuhren.„What are you looking for ?“, fragten sie mich verstohlen und dann: „Do you know what time it is?“ Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr und bemerkte im selben Moment die enttäuschten Gesichter meiner Begleiter, denn es handelte sich um ein Exemplar der Billigmarke Migros. „It is three o' clock“, antwortete ich in möglichst akzentfreiem Englisch. Doch meine Bemühungen verliefen im Sand, die beiden hatten mich schon längst enttarnt: „You are not from here, right? From where are you?“ „Switzerland, I' am from Switzerland“, sagte ich beklommen. „And what are you doing here?“. Ich zeigte auf meinen Stadtplan und erklärte den beiden, dass ich mich verlaufen hätte, worauf der eine in eine bestimmte Richtung deutete. Ich bedankte mich und war froh, als die beiden Begleiter wieder von mir abliessen. Angesichts meiner M- Watch hatten sie wohl das Interesse an mir verloren, und so schnell wie das Duo gekommen war, fuhr es mit seinen Rädern wieder davon. Ich atmete erleichtert auf und marschierte eiligst in die angegebene Richtung.

Die Angst trieb mich, doch auch sie brachte mich nicht ans Ziel. Zu meinem Entsetzen nahm die Anzahl verbeulter Cars stetig zu, und die Strassen fingen an, noch mehr nach fifty cents zu riechen. Dieser Gestank, der da aus den gullies drang, das war fürchterlich. Irgendwie schaffte ich es dann doch noch, aus diesem Labyrinth von Hinterhofquartieren herauszufinden. Wie mir das gelang, ist eines jener grossen Rätsel, wie sie das Leben mit sich bringen kann.

Erleichtert, wohlbehalten die Unterkunft der Musikschule wiedergefunden zu haben, trat ich durch die Eingangstüre und wollte gerade die Treppe zum second Floor hochsteigen, um mich in meinem Zimmer von den erlebten Strapazen zu erholen, da schmetterte es in meinen Rücken: „Where is your ID- Card?“. Ich wollte meinen Geldbeutel zücken, doch meine Hand griff ins Leere. Verlegen durchsuchte ich auch meinen Rucksack, aber der hatte die Brieftasche ebenfalls nicht. Einen Diebstahl von zwanzig Dollars kann man verschmerzen, niemals aber den Verlust der eigenen Identität.

Ich war also wieder einmal heimatlos geworden, und als Heimatloser war man ein Vagabund. Das ist in den Vereinigten Staaten nicht anders als in Europa, es sei denn, man kann wenigstens einen Wohnwagen sein eigen nennen. Aber ohne ID- Card ? Ich erklärte dem Security Man, dass ich mich in die townships verlaufen hätte und dort von zwei Strolchen bestohlen worden sei. Der Sicherheitsmann schüttelte verständnislos den Kopf und murmelte etwas von “Stupid Europeans“, ehe er mir die Anweisung erteilte, auf dem Schulsekretariat vorzusprechen und eine neue ID- Card zu beantragen.

Zurück in Switzerland notierte ich dann in mein Notizbuch folgende Regeln, die ich, sollten meine Füsse jemals wieder amerikanischen Boden betreten, unbedingt befolgen wollte:

  1. Vertraue keinem Stadtplan
  2. Spreche nicht mit Fremden
  3. Trage Deinen Geldbeutel niemals in der Hosentasche
Die ID- Card von damals befindet sich jedenfalls noch heute in meinem Besitz, gut behütet in meiner verschliessbaren Schreibtischschublade auf dass sie niemals wieder abhanden komme...

Christian Zweifel, Kolumnist aus Zwang: Schreibt euch die Seele vom Leib!!!

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