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2. Mai 2011, 15:09 Kolumnen Kultur

Niederdorf-Nostalgie im Johanniter

- Wir speisen – seit langem – wieder mal im Zürcher Restaurant Brasserie Johanniter. Der Johanniter ist eine Institution im Niederdorf. Generationen von Studierenden haben hier ihre Rösti mit Gschnetzlets oder Wurst verzehrt. – Hier die erste Gastrokritik auf students.ch

Frühling im Niederdorf, Kneipe an Kneipe, Plastiktisch an Plastiktisch, etwas bierseliger Ra-dau; irgendwoher johlt ein Volkslied. Wir ziehen uns das rein, ganz, und essen im Johanniter, da, wo man ja sonst nur Touristen hinschickt. Und siehe da! Der Bier- und Speisesaal ent-zückt wie Anno Tobak mit hohem Gewölbe, hinter Holzimitation versteckter Lüftung, Klin-kerboden, Boulevard-Laternen und weiß-rot karierten Tischtüchern. Das Trümmerteil eines abgestürzten Ufos hängt hinten im Saal. Wobei es sich eigentlich um die Abdeckung eines Braukessels handelt.

Auf den Tischchen stehen – hurra, sie leben noch! –Gewürzhalter von Maggi. Das alte Paradox indes bleibt ungelöst: Mit Maggi hat man zwar original Maggisuppenwürze zur Hand, aber die falsche Streuwürze, mit Knorr original Aromat, dafür die falsche Suppenwürze. Da-mit ist schon fast alles gesagt über den Johanniter, eingedenk der Glutamatdämpfe, die das Züri-Gschnetzlets absondert.

Stopp! Zurück auf Start! Zunächst entzückt uns auch die Speisekarte. Mutig werden Gnagi (Schweinefüßchen) und geräucherter Brustspitz angeboten, neben Leber und Würsten. Keine Kapitulation vor zeitgemäßem Allerweltsgeschmack, keine Seite mit Pasta (Teig), höchstens Spargeln, der Jahreszeit geschuldet. Die Bedienung ist dank Zuwanderung aus Deutschland freundlich-effizient, besonders wenn es darum geht, den Gast mit Bier zu versorgen.

Hier trinkt man Bier. Hürlimann. Aber nicht mehr das klebrige, grobbittere Gebräu, mit dem man sich weiland Zürichs herben Charme einverleibte. Das Helle schmeckt eher beliebig, so in Richtung Aargau (Feldschlösschen), das Schwarze gar nicht. Es kommt viel zu kalt auf den Tisch. Selbst dem warm gewordenen Rest im Glas geht der edelbittere Malzgeschmack eines guten Schwarzbiers ab. Man hätte es besser zusammen mit der Bedienung aus Deutschland eingeführt.

Es gibt diese Super-Wunder-Express-Plastik-Gemüsereiben, die an Messen und Jahrmärkten lauthals vorgeführt und feilgeboten werden. Man könnte damit die Hornhaut der eigenen Großmutter zu einem Salat verreiben. Das Küchenperson im Johanniter hat den Umgang mit diesen Dingern perfektioniert, für den kleinen Gemischten (8.30) Karotten, Randen, Sellerie und etwas Viertes – fader Rettich? – zerrieben, desgleichen für den Salatteller mit Ei und Hüt-tenkäse (16.90), alles frisch, großzügig portioniert, alles mit weißlicher Soße bekleckert, nach alter Väter Sitte, nur dass leider der Hüttenkäse ausgegangen ist.Drei Minuten von der Niederdorfstraße entfernt, an der Bahnhofbrücke, lagern Zentner von Hüttenkäse – Prix Garantie. Im Gastro-Großeinkauf ist der Käse jedoch noch viel billiger. Darum kein Hüttenkäse und auch kein zweites Ei. Hier wird alles haarscharf berechnet. Selbst die Zeit, während der ein Gast Raspelsalat kauen darf.

Diese Zeit ist jetzt um und bereits dampft das Züri-Gschnetzelts mit Rösti (29.90) neben dem Salat. Die Rösti schmeckt tadellos, knusprig, und aller böswilligen Verdächtigungen zum Trotz nicht nach Hero. Im Gschnetzlets fehlen wie vielerorts die Kalbsnierchen, die das Fleischgericht erst zum Züri-Gschnetzlets machen. Diesen Makel haben die Gäste allerdings selbst verschuldet. Das Originalgericht wurde nicht mehr bestellt und schließlich von der Kar-te genommen.

Immerhin liegen genug Fleischstücke auf dem Teller, und zwar nicht grau weich gekocht, sondern goldbraun angebraten. Die Soße hingegen… Man probiert… Gottbleibbeiuns! Was ist das? Mit den Pilzen stimmt etwas nicht. Entweder hat sie die Super-Wunder-Express-Plastik-Gemüsereibe zu dünn geschnitten und sie sind in der Pfanne halb verdampft, oder, noch eher, es werden uns Trocken-Champinions aus dem Beutel vorgesetzt. Und es kommt noch dicker. Eben: Der glasige Schleim, in dem das Fleisch klebt, bestrahlt uns in der Potenz von Tschernobyl mal Fukushima hoch zwei mit Glutamatdämpfen. Bei Heimweh nach dem alten Niederdorf also nichts wie ab ins Restaurant Johanniter. Man wird bestimmt geheilt.

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