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3. Mai 2011, 00:57 Kultur

Chercher le Bleu III

Junges Schauspielhaus - Bülach ist passé. Die Produktion des Jungen Schauspielhauses „Blauer als sonst“ probt seit Mittwoch im Schiffbau / Matchbox.

Ich öffne die Türe der Matchbox. Etwas Feierliches liegt in der Luft. Das Originalbühnenbild leuchtet in der Mitte des Raumes. Auf der einen Seite die Quaderpipe, die in zwei aufeinander folgenden Wellen mündet und auf der anderen Seite eine riesige Spirale, die sich von der letzten Welle aus zur Decke hoch windet. Die Scheinwerfer sind befestigt, das Neonlicht der Probebühne schnell vergessen. Es erscheint alles in einem anderen Licht. Die Bewegungen der Schauspieler und das Raumgefühl wirken anders. Reich an Spiel- und Probenerfahrungen aus den vielen „Würfen“ in Bülach, steigen die vier Schauspieler in die Matchbox ein. In dieser „Streichholzschachtel“ steuern alle gemeinsam die Premiere an, die am 11.Mai gefeiert wird.

Es ist Freitagabend, achtzehn Uhr dreissig. Jule liegt zusammengekauert wie ein Häufchen Elend auf der grossen Welle, Frank ihr gegenüber auf der kleineren. Ihre Begegnung ist zufällig. Ungeschickt versucht er ein Gespräch mit der Freundin seines Sohnes anzufangen und schafft es einfach nicht, mit ihr auf eine Wellenlänge zu gelangen. Die Luft zwischen ihnen ist eisig. Unerträglich. Jule geht es schlecht. Sie projiziert ihre Erfahrungen mit Finn auf dessen Vater Frank. Dieser versucht ihr entgegenzukommen, begibt sich aufs Glatteis und rutscht immer wieder aus. Wie kommt er überhaupt darauf, dass gerade er ihre Situation retten könnte? Die ganze Szene ist unheimlich, leise, unheimlich stark. Jule bebt, zittert am ganzen Körper, dann explodiert sie. Und auf einmal hört man ein leises, beruhigendes Summen, das von Frau Seidel kommen muss – denn sie ist als einzige nicht zu sehen. Sie versucht Jule aufzumuntern, doch niemand kann deren Schmerz stillen.

Jutta Seidel hat keine Kinder. Aber sie erzählt die Geschichte eines Mädchens, das als trauriger Fisch durch seine Jugend schwamm. Immer leicht an der Oberfläche, nach Luft lechzend, leicht angeschlagen. Mit dem Willen, zu überleben, war sie bereit, alles zu tun und wurde so bis auf den Grund ihrer heimlichsten Gefühle entblösst. Frau Seidel arbeitet im Stadtparkkiosk. Mit einem feinen Gespür für Empfindungen, fungiert sie als „Liebestankstelle“, Beraterin in Erziehungsdingen, geduldige Zuhörerin und Trostspenderin. Bis sich einmal die Rollen vertauschen...

Gegen neun Uhr abends sitzen Anna Ka, Fabian, Oriana, Thomas, Steffen und Petra am Bühnenrand und besprechen die gespielten Szenen. Die Schauspieler strahlen eine Zufriedenheit und Erleichterung aus, sind aber gleichzeitig erschöpft. Wie ihre Figuren werden auch sie eine Zeit lang in dieser Atmosphäre „gefangen“ sein – bis sie wieder aus ihrer Rolle rutschen und zu sich zurück finden. Wie Fabian, der noch eine ganze Weile lang Finn ist, der gerade seinen ersten grossen Streit mit der Freundin hinter sich hat. Finn ist wütend, traurig und machtlos gegenüber seinen Empfindungen. Ein bisschen geht’s auch Fabian so, der jetzt die hervorgeholten Emotionen ruhen lassen muss. „Es ist, wie wenn du wütend bist. Dann versuchst du auch, mit diesem Gefühl umzugehen, es irgendwie loszuwerden.“, sagt er. Je nach Situation gehe das manchmal schneller und manchmal langsamer, bis er wieder ganz bei sich ist. Und so werden in der Matchbox am Ende des Probentages alle Türen geöffnet, ein leichter Durchzug streift unsere Rücken. Morgen wird wieder Platz sein für die nächsten Arbeitsschritte.

Fortsetzung folgt nächste Woche...

Von Maja Bagat

Maja Bagat, geboren 1985, ist Dramaturgiepraktikantin am Jungen Schauspielhaus Zürich und begleitet die Produktion "Blauer als sonst". Sie studiert in Basel Germanistik und in Bern Theaterwissenschaft.

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