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14. Juni 2011, 11:32 Music Festivals Interview

Social Distortion: «Kalifornien der 70er ist tot»

Andreas Rohrer - Die wichtigste Punkrockband der heutigen Zeit, Social Distortion aus Los Angeles, zeigt sich selten in Europa und veröffentlicht noch seltener ein Album. Dieses Jahr geschah beides: Am Greenfieldfestival in Interlaken sprachen wir mit Gitarrist Jonny «2 Bags» Wickersham über LA und harte Zeiten.

Mit «Hard Times and Nursery Rhymes» legen Social Distortion um Frontmann Mike Ness das erst zweite Album in 15 Jahren vor. Jonny «2 Bags» Wickersham ist seit 2000 festes Mitglied der Band und seinem Songwriting verdanken wir Social Distortion-Hits wie «Angel's Wings» oder «Machine Gun Blues». Als früherer Gitarrist der U.S. Bombs und der Cadillac Tramps ist er eine der bedeutendsten Figuren im kalifornischen Punkrock.

Jonny Wickersham trägt brandneue Levis, T-Shirt und Hornbrille. Wo war er nochmal gestern? Die über 70 Destinationen der aktuellen Tour führen Social Distortion durch die USA, nach Australien und Europa. «Berlin!» kommt ihm nach kurzem Überlegen in den Sinn. Er erspäht mein iPhone und zeigt sogleich sein eigenes samt einer Sammlung von Unmengen von Soundfiles. «Ich nehme damit meine Songideen auf, das Ding ist fantastisch!» Sein alter Walkman mit Mic für unterwegs hat ausgedient.

students.ch: Euer Album «Hard Times and Nursery Rhymes» spricht es schon im Titel an: In schlechten Zeiten klammert man sich gerne an kleine, poetische Geschichten. Braucht Amerika wieder feste Werte, woran man sich festhalten kann?
Ja, wobei es uns dabei nicht nur um die wirtschaftliche Situation in den USA geht. Jeder geht durch schwierige Zeiten, seien das Todesfälle oder Familienprobleme. Musik hilft, darüber hinwegzukommen und für einen Moment Trost zu finden, bei Kindern wie Erwachsenen.

Was hörst du dir an, wenn du down bist?
Da gibt es einiges. Ich habe da so eine Platte mit traditioneller schottischer Dudelsackmusik, so richtig traurige Melodien. Und eine EP von Sinéad O’Connor... wie heisst sie nochmal. Ach, mit diesen iPods vergisst man wie die Musik heisst (Anm.d.Red: das ist wohl «Gospel Oak»). Man muss sich einfach nichts mehr merken, weil man alles immer dabei hat. Erinnerst du dich noch an Zeiten, wo man sich Telefonnummern merken musste? Münzen einwerfen und die Nummer aus dem Kopf wählen?

Natürlich! Ich habe die Nummern von damals noch heute im Kopf. Ziemlich romantisch...
...genau!

Zurück zu «Hard Times...». Hast du persönlich schlechte Zeiten, die du mit der Entstehung des Albums verknüpfst?
Nein, eigentlich nicht. Natürlich habe ich als Gitarrist Gefühle, die ich mit meinen Parts verbinde. Aber... Weisst du, viele sagen, dass die besten Songs aus einem Zustand tiefster Trauer entstehen. Bei mir ist das nicht so. Wenn es mir mies geht, dann kriege ich gar nichts mehr hin. Ich kann nicht Gitarre spielen und schon gar keinen Song schreiben. Bei mir funktiniert das eher retrospektiv.

Du und Social Distortion gehören zu Los Angeles wie der Venice Beach. Wenn man aus Europa nach Kalifornien schaut, hat man das Gefühl, der Ort verliere sich immer mehr in Oberflächlichkeit. Wie nimmst du LA wahr?
..ach danke, Schwarzenegger! (lacht) Oh Mann, der Ort hat sich ganz schön verändert. Damals in den 70ern... Meine Familie hatte nicht viel Geld, wir sind oft umgezogen. Mein Vater war Musiker und arbeitete in diversen Bars als Bandmusiker. Er spielte mal in Rockbands, mal in Countrybands. Meine Stiefmutter zog immer mit, sie arbeitete dann in den selben Bars als Cocktail-Waitress. Wir lebten in Wohnungen, nicht in Häusern, wie das in Kalifornien üblich ist. Was jedoch konstant war, war dass wir immer in der Nähe des Strandes wohnten. Die ganze Küste, Huntington, Manhattan, Redondo und bis rauf nach Santa Monica war heruntergekommen. Eigentlich Ghetto. Wir konnten es uns leisten, am Ozean zu wohnen. Heute ist das alles von Leuten mit Geld übernommen. Freunde aus meiner Jugend haben keine Chance, da zu wohnen, wo wir aufgewachsen sind. Alle müssen landeinwärts nach Corona oder Riverside. Damit habe ich echt Mühe. Das Kalifornien der 70er-Jahre existiert nicht mehr.

Ein eher unschöner Ort im Landesinnern ist «Bakersfield», dem ihr einen Song gewidmed habt. Eine klassische Durchfahrts-Destination für Leute, die nach Las Vegas wollen. Was bedeutet der Ort für dich?
Ich spielte da meine allererste Show mit den Cadillac Tramps! Das werde ich nie vergessen. Ein Raum so gross wie ein Wohnzimmer und ein grossartiges Gefühl: «Wow! Wir sind auf Tour!» Sonst ist da nicht viel.

Jonny «2 Bags» Wickersham auf der Greenfield Bühne 2011
Jonny «2 Bags» Wickersham auf der Greenfield Bühne 2011

Du sprichst deine Zeit vor Social Distortion an. Bist du noch in Kontakt mit all den Jungs, wie Duane Peters von den U.S. Bombs?
Was für ein Tag ist heute? Oh, morgen wird Duane 50 Jahre alt! (Anm. d. Red.: am 12. Juni) Und er ist immernoch unterwegs, sowohl auf dem Skateboard als auch mit den U.S. Bombs. Letztes Jahr war ich mit den Bombs auf Tour in Europa.

Als Social Distortion Fan darf man sich ja durchaus fragen, was ihr denn die ganze Zeit macht, bei euerm 6 bis 8 Jahre-Rhythmus!
Ich persönlich habe noch eine Band mit Jungs von den Cadillac Tramps, Steve Soto von den Adolescents, James Achor von Royal Crown Revue und Greg Kuehn von T.S.O.L.. Eine Soul Band, wir spielen Motown mit ganzer Horn-Section! Ich mag Soul und Blues. Und ich arbeite an einer Solo-Platte, so eine Art 70's Country-Rock.

Das heisst, du hast kaum Zeit, neue Songs für Social Distortion zu schreiben?
Wir brauchten sehr lange für die letzten beiden Alben. Ein Grund ist, dass wir extrem viel touren. Alle ausser ich haben auch Familien, was Zeit braucht. Es ist schon so, dass wir dauernd an Songs arbeiten, in Pausen und an Soundchecks. Wir sammeln also laufend Ideen, aber wir setzen uns nie Druck auf mit Deadlines. Wir zwingen uns zu nichts, und genau das liebe ich an Social Distortion. Auch wenn sich Promotoren und Plattenfirmen das manchmal anders wünschen! (lacht) Das schöne daran ist, dass wir uns Zeit lassen, als Songwriter, als Musiker, und auch als Typen zu wachsen. Wir bringen Platten raus, wenn wir bereit dafür sind. Und seien wir ehrlich, Social D wird immer nach Social D tönen. Wir werden uns nicht innerhalb eines Jahres neu erfinden.. wie zum Beispiel die Beatles das konnten! Klar verändern wir uns, und das hört man auch. Wir sind keine Gossen-Punks mehr, Dude, wir sind über 40ig! Da wollen wir auch niemandem etwas vorspielen. Und so lassen wir uns Zeit, bis wir den passenden Sound gefunden haben. Ich glaube die «kleine Diskographie» von Social Distortion ist auch der Grund dafür, warum diese Band immernoch lebt.

Während Social Distortion sich treu bleibt, hat sich die Welt um euch herum ziemlich verändert. Setzt man sich da ab und zu nicht hin und fragt sich, «Moment, müssen wir etwas ändern»?
Auf jeden Fall. Obwohl wir für uns keine grossen Pläne festlegen, ist es vor allem Mike sehr wichtig, die Vergangenheit dieser Band zu analysieren und sich zu überlegen, was man schon gemacht hat, und wohin man gehen will. So hat er sich für «Hard Times...» zum ersten mal als Produzent eingebracht und endlich all die Gitarrensounds, die ihm auf alten Platten sauer aufstiessen, genau so hingebogen, wie er es will. Wir schauten zurück und sagten uns, «Mann... Love, Sex & Rock'n'Roll ist ein tolles Album. Aber: Die Gitarren sind fürn Arsch!» (lacht) Wir wollen auch seit Jahren ein Akkustik-Album aufnehmen. Aber Mike ändert seine Meinung oft. So ist es echt ein hin und her: «Wir tun jetzt das...» und einen Monat später, «Nein tun wir nicht!»

Video: Social Distortion – Machine Gun Blues

Social Distortion: Offizielle Homepage

Bilder vom Social D Gig am Greenfield 2011: usgang.ch

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