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25. Juni 2011, 18:00 Kolumnen

Shots no. 29: Les Luthiers oder: Humor und Hymnen

Dominik Mösching - Kultkabarett, Musiksatire und Wortspiele: Les Luthiers kommentieren seit mehr als vierzig Jahren Absurditäten des bildungsbürgerlichen Privat- und Berufslebens. Wie funktioniert lateinamerikanischer Humor? Ein Ausschnitt aus dem Sketch "Die Kommission", aufgeführt letzten Samstag in Buenos Aires.

Ramirez, Doktor Murena, Präsident Garcete, ein Fahnenträger, Maestro Mangiacaprini: Les Luthiers im Sketch "Die Kommission"

„Lesen Sie keine Zeitung?“, fuhr Doktor Murena den Komponisten an. Maestro Mangiacaprini hatte doch tatsächlich vorgeschlagen, die Sowjets als neuen Feind in die Nationalhymne aufzunehmen anstelle Spaniens, dessen koloniales Bedrohungspotential schon seit einiger Zeit nicht mehr überwältigend schien. Murena und Ramirez tauschten verständnislose Blicke aus. Aber die beiden Mitglieder der nationalen Unterhalts- und Aktualisierungskommission waren auf die Arbeit mit Mangiacaprini, der nervös am Piano sass, angewiesen. Denn bald würde der Staatspräsident eintreffen, um den Fortgang der Arbeiten zu begutachten. Es ging schliesslich um die Erneuerung der Nationalhymne.

„Na, dann nehmen wir den US-Imperialismus als Feind!“ Mangiacaprini versuchte, auf Nummer sicher zu gehen. Doch der Doktor hatte erneut einen Einwand. „Ich bitte Sie. Die USA sind seit jeher enger Verbündeter unser Demokratie – und unserer vormaliger Diktaturen.“ Nun mischte sich Ramirez ein. „Wie wäre es mit Norwegen?“, fragte er unbedarft. „Wie bitte? Und aus welchem Grund um Himmels willen?“, warf Mangiacaprini ein. Ramirez überlegte. „...ein Grenzkonflikt?“ Dem Komponisten reichte es. „Mit Verlaub, das ist geografisch vollständig unmöglich. Und überhaupt...“ – „Ach, wissen Sie.“ Doktor Mureno lehnte sich zurück. „Die Menschen in diesem Land haben doch keine Ahnung, wo Norwegen liegt. Ausserdem: Hat man den Feind erst einmal definiert, ist es ein Leichtes, einen Konflikt zu erfinden.“

Mangiacaprini testete also die neu gedichtete Strophe. Die beiden Politiker waren mit dem nördlichen Bösewicht zufrieden und machten den Maestro auf eine letzte Anpassung aufmerksam. Präsident Garcete würde seinen Namen gerne in der Hymne haben – anstelle desjenigen von General Ponce, dem Gründer der Nation. „Unmöglich“, wiegelte Mangiacaprini ab, „Ponce zu streichen ist völlig unmöglich. Seine Verdienste für das Land...und ausserdem reimt sich sein Name auf unser Gründerjahr in der nächsten Zeile, mil ochocientos once. Achtzehnhundertelf.“ – „Dann wechseln wir doch das Jahr. Achtzehnhundertsieben, mil ochocientos siete. Das reimt sich auf Garcete.“ Ramirez hatte gerade eine kreative Phase, zum Leidwesen des verzweifelten Maestros. „Wir können doch nicht unsere Geschichte ändern! Die Nation einfach erfinden!“

Murena und Ramirez schwiegen.

Murena hob die Augenbrauen, zuckte mit den Schultern und begann im historischen Lexikon nach geeigneten Ereignissen für die wahre, aber unverständlicherweise vergessen gegangene eigentliche Staatsgründung zu suchen. „Achtzehnhundertsieben... 1807... Zahlen... ist das vor oder nach 1811?“ Ramirez winkte ab. „Von Zahlen weiss ich nichts. Ich bin Anwalt, nicht Ingenieur. Wie sieht die Sieben schon wieder aus?“ Mangiacaprini rollte mit den Augen, stellte die Zahl pantomimisch dar und sagte: „1807 ist vorher. Vier Jahre vorher.“

Die Politiker strahlten ob der tollen Nachricht. „Wunderbar! So alt ist unsere grossartige Nation schon!“ Sie beendeten hurtig den Text, der Präsident und Neo-Nationalheld Garcete traf ein, sie sangen die Hymne und sogar Mangiacaprini war ein bisschen ergriffen.

Doktor Murena  (Marcos Mundstock, r.) hat eine Idee. Ramirez (Daniel Rabinovich, l.) runzelt die Stirn.
Doktor Murena (Marcos Mundstock, r.) hat eine Idee. Ramirez (Daniel Rabinovich, l.) runzelt die Stirn.

Les Luthiers (v.l.n.r. Jorge Maronna, Marcos Mundstock, Carlos López Puccio, Daniel Rabinovich, Carlos Núñez Cortés): Seit den 1960er Jahren eine kabarettistische Institution im ganzen spanischen Sprachraum.
Les Luthiers (v.l.n.r. Jorge Maronna, Marcos Mundstock, Carlos López Puccio, Daniel Rabinovich, Carlos Núñez Cortés): Seit den 1960er Jahren eine kabarettistische Institution im ganzen spanischen Sprachraum.

Bisherige Shots From the Road findest du hier.

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