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20. Juli 2011, 14:33 Kultur

Folkmusik dreimal anders

students Redaktion - Volksmusik vom Feinsten gab’s beim diesjährigen Stimmenfestival im lauschigen Wenkenpark in Riehen zu hören. Wie gefährlich die Violons Barbares wirklich sind, ob die Kummerbuben das Publikum zum Weinen brachten und wer Wenzel ist, lest Ihr hier.

So richtig wild sehen sie nicht aus, weder der Bulgare im roten Hemd mit den wirren, krausen Locken, noch der französische Schlagzeuger ganz in Schwarz und schon gar nicht der stoisch anmutende mongolische Pferdegeiger im jadegrünen seidenen Kaftan. Doch mit den ersten Takten verwandeln Violons Barbares die ehemalige Pferdebahn des Wenkenparks in eine Rennbahn. Westernmelodien und galoppierende Pferde, die unendliche Weite der Steppe, Lebensfreude und Wehmut liegen in der mitreissenden Musik.

Dimitar Gougov entlockt seiner dreizehnseitigen Gadulka, die kaum grösser als eine Kindergeige ist und senkrecht gespielt wird, satte warme Töne, Enkhjargal Dandarvaachig an der sogenannten Pferdegeige wehmütige bis überschäumend lebendige Melodien. Für den packenden Rhythmus ist nicht nur Fabien Guyot am Schlagzeug zuständig, der mit den verschiedensten Instrumenten, eines sieht wie eine alte metallene Wärmflasche aus, experimentiert. Auch die fast rechteckige Pferdegeige, die nur aus zwei Seiten besteht und am Ende in einen Pferdekopf ausläuft, treibt vorwärts, dann wieder tönt sie fast minimalistisch.

Und über allem schwebt der Obertongesang, mal sehr hoch wehmütig rufend und etwas gepresst klingend, dann wieder sehr tief, bauchig tönend. Quasi im Duett singend streift der mongolische Musiker mit dem unaussprechlichen Namen mühelos mehrere Oktaven. Mit einer Melange drei verschiedener Galopparten – mongolisch, bulgarisch und nach Strassburger Art - wie Gougov in seinem charmanten Deutsch erklärt, setzen die Drei musikalisch virtuos noch eins drauf. Immer wilder, mitreissender wirbelt das Trio, ihre sichtbare Begeisterung steckt an. Den meisten Zuhörern steht die Faszination ins Gesicht geschrieben.

Der Kontrast zu den Kummerbuben könnte nicht grösser sein. Die sechs Herren, urban lässig in schwarz weiss gekleidet, wirken höchstens durch die weissen Oberhemden oder die eine oder andere Weste ländlermässig. Sie beginnen mit einer rockigen Version von „Du fragsch mi wer i bi“, die trotzdem sehr poetisch klingt. Simon Jäggi singt in weichem berndytsch, mit deutlichen Anklängen an Stiller Haas und Mani Matter. Saxophon (Daniel Durrer), Gitarren (Nervous Urs, Moritz Alfons) und Kontrabass (Higi Bigler) mit Tobi Heims an den Percussions spielen einen sehr tanzbaren Folk, der doch irgendwie beliebig wirkt. Falls es ihnen Spass macht, sieht man es den Kummerbuben (noch) nicht an.

Doch die Berner können auch anders, mit „Absinth“ eine Art Hommage ans Kultgetränk oder dem „Mondfisch“, einer skurrilen, poetisch versponnenen Geschichte tönt es sphärisch zu mitreissendem Sound. Dann wieder klingt es nach französischen Chansons, bevor es mit jauchzender Klarinette und einer Metalltonne, auf die der Sänger mit grosser Geste einprügelt urchiger wird.
Am authentischsten wirken die sechs mit ihren reizvollen Adaptionen von Volksliedern, von denen leider ein Grossteil anfangs durch Übersteuerung nicht verständlich war. Den Jüngeren im Publikum scheint das egal, sie tanzen begeistert , während die älteren Semester skeptisch blickend sitzenbleiben.

Ganz anders dagegen kommt Wenzel daher. Die Berliner Band besticht durch hintersinnige Texte, gemischt mit ehrlichem Folk. Wenzel ist Sänger, Gitarrist, Pianist und Frontmann in einer Person und eigentlich Liedermacher. Mit seinen langen Haaren (der Schlagzeuger Stefan Dohanetz hat seine zum Pferdeschwanz gebunden) wirkt er schon etwas in die Jahre gekommen, die Musik ist es keinesfalls.

Thommy Krawallo und Hannes Scheffler sorgen für gemässigt wilden Folk, bei einigen Songs steuert Wenzel noch ein Akkordeon bei. Melancholisch und poetisch wird es, wenn er „und ich sehne sinnlos mich nach Dir“ singt. Mit lakonischen Humor und schwebenden Bässen verteilt er Seitenhiebe gegen die unbeliebten, lebensunlustigen Schwaben in Berlin „einmal wieder sich besaufen, bis er gerade wird der Blick“ und bringt sozialkritisches ohne pädagogischen Zeigfinger „Oh könnt ich doch sagen, es kommt auf mich nicht an.“ rüber.

Sitzt er dann am Klavier, scheint er erst richtig in seinem Element als Liedermacher. Wenzel ist nicht umsonst Kult, die hohe Kunst schwierige Themen leichthändig zu bringen, überzeugt. Kriegskrüppel, denen wir heute nicht in unserem Umfeld begegnen, ist beispielsweise so ein Motiv. Auch die Politiker bekommen ihr Fett weg, das Publikum amüsiert sich bestens über die deutsche Regierung, die wieder nur ein Trauerspiel statt einer Operette geworden wäre. Dabei wäre doch die Personage die Unschuld vom Lande, der adlige Heiratsschwindler, ein vietnamesisches Waisenkind und sogar ein Homosexueller – vorhanden gewesen.

Das man im Alter weiser wird, weil man „Das Elend schlechter sieht“ ist auch so eine These, die mit westernartigen Bässen (leider hörbar übersteuert als einziger Wermutstropfen des ganzen Sets) sanft unterlegt werden. Wer Wenzel verpasst hat, kann immerhin hoffen, dass sie auch ein drittes Mal zum Stimmenfestival kommen.

Autorin: Annekatrin Kaps
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folkmusik