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15. September 2011, 11:35 Kolumnen

SPIEGEL goes Wirtschaftsgymnasium / Teil 2

- Früher, als Schüler eines Wirtschaftsgymnasiums, stand ich mit einer Mischung aus Arroganz und Ignoranz dem Geschwafel meiner Lehrer gegenüber & las den Spiegel, als intellektuelles Gegengift. Heute erinnert mit ausgerechnet jenes Magazin an das nichtauszuhaltende Geblubber meiner Lehrer.

Gestern publizierte ich den ersten Teil der dreiteiligen Serie „SPIEGEL goes Wirtschaftsgymnasium“, wo ich an einem Punkt aufzeigte, wie 8 (!) Redakteure es schaffen, durch beängstigende Oberflächlichkeit einen einfachen Sachverhalt falsch zu erklären bzgl. der griechischen Schuldenproblematik & der europäischen Einheitswährung.

Wobei man natürlich sagen muss, dass der Euro ( in seiner Konstruktion) für die derzeitige Krise mitverantwortlich ist, aber auf eine ganz andere Art und Weise, als die SPIEGEL-Geschichte suggeriert. Richtig ist: Durch den Euro-Beitritt konnten sich die Griechen und andere Peripherie-Staaten viel billiger verschulden, weil die Finanzmärkte ihnen einen deutlichen Vertrauensvorschuss entgegen brachten und viel geringere Risikoaufschläge verlangten als in der Vergangenheit.

Dieser Punkt wird im „Spiegel“ zwar angesprochen, aber leider ziemlich falsch erklärt. Dort heißt es:

„Tatsächlich glichen sich nur die Zinsen an, denn die Europäische Zentralbank legt für den gesamten Währungsraum, für starke und schwache Mitglieder gleichermaßen, einen einheitlichen Zinssatz fest. So strömte viel Kapital nach Spanien und Irland…“

Die Autoren-Clique wirft hier einiges durcheinander. Es stimmt, dass die EZB einen einheitlichen Leitzins für die Euro-Zone setzt. Es stimmt auch, dass sich die Anleihezinsen in den Euro-Ländern bis zur Finanzkrise sehr stark angenähert haben. Es stimmt aber nicht, dass der einheitliche Leitzins der EZB dafür der entscheidende Grund gewesen ist.

Die Zinsen auf den privaten Kapitalmärkten werden auch – aber eben längst nicht nur – von den Leitzinsen bestimmt. Der einfachste Beleg dafür ist die derzeitige Situation: Die Leitzinsen in Euroland sind immer noch identisch, aber Deutschland kann sich trotzdem zu deutlich niedrigeren Zinsen verschulden als Griechenland.

Der eigentliche Grund für die Zinskonvergenz war ein ganz anderer: Durch den Beitritt zur Euro-Zone importierten die Peripherie-Länder Vertrauen. Diese Aussage kann ich mit der jüngst veröffentlichten Studie, des renommierten Kieler Instituts für Weltwirtschaft stützen :

“Durch die Währungsunion sind Wechselkurs- und Inflationsrisiken für Anleihen der Länder der Peripherie weggefallen. Mit einer stabilen Währung ausgestattet dürften sich die Wachstumsaussichten der Länder der Peripherie merklich gebessert haben, und die ersten Jahre bestätigten dies. Die Länder der Peripherie verzeichneten eine deutlich überdurchschnittliche Expansion der Produktion. Während in den Jahren 2000 bis 2007 der Schuldenstand im Euroraum gesunken ist – zeitweise sogar in Griechenland (2002/2003) – ist er in Deutschland gestiegen. Spanien und Irland waren geradezu die Musterschüler des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Vor Beginn der Krise lagen die Schuldenstände in beiden Ländern deutlich unter 40 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt.”

Neben den Vertrauensimporten spielte ein anderer Grund eine Rolle für den Investitionsboom, der etlichen Ländern zum Verhängnis wurde: Die Inflationsraten in Staaten wie Griechenland waren viel höher als in Ländern wie Deutschland. Wegen der identischen Leitzinsen und der verschwundenen Risikoaufschläge für die Peripherie-Staaten waren dort die Realzinsen deutlich niedriger – das machte Kredite billiger und heizte die Investitionen an.

Diesen Aspekt aber erklärt der „Spiegel“ seinen Lesern leider nicht, was zwei Gründe haben könnte :

Entweder sah das die Redaktion nicht als nötig, dem Leser diesen durchaus interessanten Aspekt aufzuzeigen, oder die Redakteure wussten davon einfach nichts. Ich tippe auf letzteres.Der Grad der Vereinfachung beim SPIEGEL ist so gross, dass dadurch Tatsachen verfälscht werden. Haarstreubend sind die Passagen über eine Abwertungsstrategie:

„Gäbe es noch nationale Währungen, hätten Länder wie Griechenland oder Portugal ein bewährtes Mittel an der Hand, ihre mangelnde Wettbewerbsfähigkeit abzubauen. Sie müssten nur ihre Drachme oder ihren Escudo abwerten, dann würden die Gesetze von Angebot und Nachfrage dafür sorgen, die Warenströme umzulenken. (…) Nicht die Regierung, der Markt würde dafür sorgen, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte abzubauen.“

Natürlich beschreiben die Elite-Journalisten aus Hamburg hier ein Phänomen, das es gibt – aber sie beschreiben es in einer geradezu lächerlichen Absolutheit.

Das wahre Leben ist längst nicht so einfach, wie Deutschlands Nachrichtenmagazin seinen Lesern suggeriert. Auch dafür genügt der Blick nach Großbritannien: Zwar hat das britische Pfund seit Ausbruch der Finanzkrise massiv abgewertet, die britische Industrie geht aber trotzdem nach wie vor am Stock – die schlechten Exportzahlen schockieren regelmäßig die britischen Wirtschaftspolitiker.

Denn: Damit „die Gesetze von Angebote und Nachfrage“ wirklich die „Warenströme umlenken“, muss sich im Land die Wirtschaftsstruktur ändern. Das geht nicht von heute auf morgen, wie die Engländer gerade schmerzlich lernen. Und eine andere Wirtschaftsstruktur ist auch das, was Griechenland braucht, um auf Dauer wirtschaftlich überleben zu können. Die festen Wechselkurse erhöhen eher den Anpassungsdruck, weil die Abwertung der Währung als Ventil fehlt.Stünde die oben zitierte Passage im Kinder-Spiegel, würde ich ja wirklich nichts sagen. Aber für ein Heft, das den Anspruch erhebt, für erwachsene Menschen zu schreiben, ist das Ökonomie auf Wirtschaftsgymnasium-Niveau.

Ziemlich dreist ist es auch, die Commerzbank als „Staatsbank“ zu bezeichnen. Es stimmt zwar, dass die Aktien zu einem Viertel beim Bund liegen – dass die Commerzbank aber derzeit schnellere Fortschritte als geplant macht, den Staat wieder loszuwerden, scheint sich bis nach Hamburg noch nicht herumgesprochen zu haben. Oder aber – was ich für wahrscheinlicher halte – man hat es wegen des Boomeffekts ( BILD-Style ) bewusst unter den Tisch fallen lassen.

Fassungslos macht mich der Tonfall, in dem der Spiegel den politischen Prozess in Europa beschreibt.

„Wenn es, wie jetzt, zur Sache geht, werden Entscheidungen nicht mehr in den demokratisch halbwegs legitimierten EU-Gremien getroffen, sondern auf mehr oder weniger heimlichen Gipfeltreffen einiger Regenten. Stille Spaziergänge von Kanzlerin und französischem Präsidenten, die dieskreten Gremien der Zentralbanken: Da wird Politik gemacht, die Parlamente allenfals im Nachhinein abnicken können, obwohl kaum ein Abgeordneter sie versteht. (…) Das bringt das Volk schon deshalb gegen seine jeweilige Regierung auf, weil es an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt wurde.“//

Der SPIEGEL – das Sturmgeschütz der Demokratie? Mich erinnert das mehr an „Bild / RTL kämpft für Sie“.

Entscheidungen werden „nicht mehr in den demokratisch halbwegs legitimierten EU-Gremien getroffen, sondern auf mehr oder weniger heimlichen Gipfeltreffen einiger Regenten“?

War das in der Geschichte der modernen Demokratie jemals anders? Hätte die US-Regierung nach Meinung der Spiegel-Redaktion vor der Rettung von AIG und Citi eine Volksabstimmung machen sollen?

„SPIEGEL-Leser wissen mehr“. Dieser Spruch zieht nicht mehr. Leider.

Sakib Mehanovic

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