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28. September 2011, 16:07 Movie

Kino: Vol spécial

Gregor Schenker - Der Dokumentarfilmer Fernand Melgar zeigt den Alltag im Ausschaffungsgefängnis Frambois. Er macht sehr deutlich, wo seine Sympathien liegen, und predigt damit vor allem zu den bereits Bekehrten.

Die Schweizer mögen es, gegenüber Fremden im Lande (oder was sie dafür halten) Härte zu zeigen. Ob es nun um das Minarettverbot oder die Ausschaffungsinitiative geht. So haben sie bereits 1994 das Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht angenommen, die die Ausschaffung von illegalen Aufenthaltern in der Schweiz regelt. Was dieses Gesetz für die Betroffenen bedeutet, demonstriert Fernand Melgar mit seinem Film über das Ausschaffungsgefängnis Frambois, das in einem Vorort von Genf liegt. Es ist eines von 28 solchen Anstalten in der Schweiz.

In Frambois sitzen Asylanten oder Sans-Papiers, die sich illegal in der Schweiz aufhalten und zurück in ihr Herkunftsland abgeschoben werden sollen. Kriminell sind die wenigstens davon (jedenfalls nicht diejenigen, die Melgar vor die Kamera holt), die meisten sind seit Jahren, manche seit Jahrzehnten vollumfänglich integriert. Sie arbeiten, zahlen Steuern, haben Frau und Kinder. Sie sind nun dazu verdammt, bis zu 24 Monate auf ihre Ausschaffung zu warten – die dann ganz plötzlich kommt. Langeweile und die ständige Angst davor, am nächsten Tag ins Flugzeug gesetzt zu werden, bestimmen ihr Leben. Manchmal erhalten sie Besuch von ihren Familien. Oft sehen sie ihre Angehörigen monatelang nicht, weil diese selbst aufgegriffen würden. Ihren Frust bauen die Gefangenen mit Sport oder Hip Hop ab.

Verweigert ein Gefangener seine Ausschaffung, wird er gefesselt, geknebelt, auf einem Sitz fixiert und mit einem Sonderflug, einem vol spécial, aus dem Land geflogen. Kein anderes europäisches Land macht Ähnliches. Die Praxis hat bisher drei Menschen das Leben gekostet. Das dritte Opfer stirbt, während Melgar in Frambois filmt.
Ein Umdenken haben diese Toten nicht ausgelöst. Sie können weder mit einem nachhaltigen Medienecho noch mit der Anteilnahme der regulären Bevölkerung rechnen. "Es ist ja bloss ein Illegaler." Oder: "Er hätte auch freiwillig gehen können."

Die wenigsten Schweizer sind sich darüber im Klaren, was für Folgen ihr "Ja" oder "Nein" auf dem Stimmzettel für die Betroffenen hat. Dass es dabei nicht um abstrakte Wahlpropaganda-Produkte wie Sozialschmarotzer und Vergewaltiger vom Balkan, sondern um echte Menschen wie Ragip, Serge oder Joseph geht. Melgar versucht das zu ändern. Bereits mit dem international erfolgreichen und am Festival del film Locarno mit dem Hauptpreis ausgezeichneten Dokumentarfilm La Forteresse hat er gegen diese Ignoranz anzukämpfen versucht; da hat er in einem Empfangszentrum für Asylbewerber gefilmt. Vielleicht wird sich das der eine oder andere Zuschauer ansehen und umdenken.

Aber der typische SVP-Wähler wird den Film als parteiisch und als Tränendrücker abtun. Nicht zu unrecht, denn Melgar macht keinen Hehl daraus, bei wem seine Sympathien liegen, und er nutzt emotionale Szenen hemmungslos aus. Hintergrundinfos gibt es kaum. Die illegalen Ausländer kommen breit und unkritisch zu Wort, die Gegenseite wird nicht befragt. Gleichzeitig kann sich der konservative Zuschauer darüber aufregen, wie gut es die Gefangenen im "Kuschelgefängnis" haben und wie sehr sich das Wachpersonal bei ihnen anbiedert.
Applaus wird Melgar vor allem von denen erhalten, die eh schon seiner Meinung sind.


Bewertung: 3 von 5


  • Titel: Vol Spécial
  • Land: Schweiz
  • Regie: Fernand Melgar
  • Verleih: Look Now!
  • Start: 29. September 2011
Fotos von Look Now!
Kommentare
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dollarhyde 02.10.2011 um 18:13
Naja, ein Muss ist es nicht. Es bietet sich halt an, weil die beiden Filme Anfang und Ende des Migrationsprozesses zeigen.
raphaelrueck89 02.10.2011 um 18:04
Muss man sich "Vol Spécial" deiner Meinung nach anschauen, wenn man "La Forteresse" gesehen hat? Cheers