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30. Oktober 2011, 17:16 Bücher Kultur

Der Blindgänger

Claudia Maag - Steven Mack stürzt bei einem missglückten Pendelsprung 150 Meter in die Tiefe. Er überlebt, ist aber seit dem Unfall blind. Als er aus dem Koma erwacht, entdeckt er eine neue Welt.

Als Jugendlicher verbringt Steven Mack jede freie Minute in der freien Natur. Sei es bei Bergtouren, beim Klettern, Brückenspringen oder Tauchen in vereisten Seen. In den Bergen, weit ab von seinem Leben in der Stadt, fühlt er sich frei und lebendig. 2006 ist er mit Freunden im Wallis unterwegs, Ziel ist die 150 Meter hohe Ganterbrücke. Er hat den Pendelsprung schon zuvor gewagt. Doch dieser Sprung wird Steve Macks Leben für immer verändern: beide Seile reissen, Steven stürzt die 150 Meter in freiem Fall. Wie durch ein Wunder überlebt er.

Der Journalist Niels Walter wurde im März 2010 angefragt, Stevens Geschichte niederzuschreiben. Beim ersten Treffen bei ihm Zuhause in Volketswil stand Walter - winterlich eingepackt - einem hochgewachsenen jungen Mann in dünnen Stoffhosen und einem schwarzen Pullover gegenüber. Walter zeichnet viele Gespräche mit Steven und dessen Angehörigen auf. Die beiden reisen an Stevens favorisierte Plätze. Der Journalist liest über tausend Seiten, die Steven niedergeschrieben hat. Das Buch „Der Blindgänger – Das gewagte Leben des Steven Mack“ entsteht.


Dieses wurde heute im Rahmen von „Zürich liest `11“ in der Sportanlage „Block“ in Winterthur präsentiert. Frank Baumann moderierte eine Lesung und ein persönliches Gespräch mit den beiden. Die Hand auf die Schulter von Verlegerin Gabriella Baumann-von Arx gelegt, wird er zum gelben Siegerpodest geführt, wo er langsam Platz nimmt. Das hellblaue T-Shirt entblösst muskulöse Oberarme, die dunkelblonden, krausen Haare stehen wild vom Kopf ab. Die Ereignisse des Unfalls kennt er nur von Erzählungen der Anwesenden. Doch er träumt manchmal vom Sturz, von der Lärche, auf die er in voller Wucht prallte, die kleine Hütte und den felsigen Waldboden.

Steven ist alles andere als hilflos. Baumann versucht ihn auf die Schippe zu nehmen: „Was hast du dir überlegt, als du dieses rote Shirt angezogen hast?“ Selbstbewusst lächelnd versichert Steven, anhand des Kragens, der Etikette und des fehlenden Logos zu wissen, dass es das hellblaue T-Shirt sei. Der Fünfundzwanzigjährige fährt lieber allein mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und führt seinen Haushalt selbst. Ihn erstaunt die Hilflosigkeit der Sehenden. Wenn er mit Blindenstock am Perron steht, fühlen sich die Pendler verpflichtet ihm zu helfen. So findet er rasch Kontakt. Was er gar nicht mag ist, wenn man ihn nicht anspricht und in der Schlange entweder in den Wagen stösst oder einfach am Arm packt.

Steven auf seinem Dach (stevenmack.ch).
Steven auf seinem Dach (stevenmack.ch).

Zusammen mit Niels Walter signiert er die Bücher. Seine Hände bewegen sich ruhig, leicht suchend aber sicher. Dann geht’s an die Kletterwand. Sorgfältig prüft er die Sicherung und zieht sich an der vierzehn Meter hohen, überhängenden „Steilen Wand“ hoch. Die erste Sicherung lässt er aus, was einige Zuschauer unruhig werden lässt. Zielgerichtet streicht er mit der Hand über die Oberfläche, scheint zu wissen, wo Sicherungskarabiner und Klettergriffe platziert sind. Oft hängt er nur am rechten Arm, abgestützt mit dem linken gestreckten Bein. Es sieht leicht aus. Zu oberst zieht er sich schwungvoll über den überhängenden Teil, sichert sich, stösst sich unbeirrt rückwärts von der Wand und gleitet am Sicherungsseil langsam auf den Boden zurück.


Infobox

Der Blindgänger, Niels Walter, 2011, Wörterseh Verlag, books.ch CHF 41.90
Steven ist auf Tournee, u.a. im Zürcher Volkshaus 31.10. und 2.11.11
Weitere Infos auf: www.stevenmack.ch und www.woerterseh.ch

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