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3. April 2012, 23:48 Kolumnen

Zwergenfussball und Weicheier

Marco Büsch - Für meinen zehnjährigen Bruder war es der Saisonbeginn beim Fussball spielen. Für mich war es an der Zeit über die grossen gesellschaftlichen Fragen nachzudenken. Während er gewonnen hat, zweifle ich noch daran.

Am Wochenende war ich an einem Fussballmatch meines zehnjährigen Bruders und sah mich über 60 Minuten lang mit den grossen Fragen der Gesellschaft konfrontiert. Vielleicht lag es daran, dass sein Team schon nach fünf Minuten 3:0 in Führung war und er bis zum 9:0 am Ende nicht wirklich viel zu tun hatte als Torwart. Jedenfalls hatte ich umso mehr Zeit mir die Geschehnisse neben dem Platz anzusehen und das war wahrlich ein soziologisches Minenfeld. Es fängt schon damit an, dass bei den Zehnjährigen die Tore eigentlich nicht gezählt werden, dementsprechend gibt es auch keine Endresultate und schon gar keine Rangliste. Die Kinder sollen ja noch ein bisschen Kinder bleiben. Dieses ganze Wettbewerbdenken wird ihnen noch früh genug eingetrichtert werden. Und trotzdem weiss mein kleiner Bruder genau, dass er 9:0 gewonnen hat (zählen kann er nämlich schon) und dass sein Team somit an der Tabellenspitze steht. Aber das ist natürlich nicht die offizielle Tabelle, die gibt es nämlich nicht. Aha.

Eine weitere interessante Beobachtung war das Verhalten eines Elternpaares, als ihr Kind versehentlich einen Fuss ins Gesicht bekam (bei lauter 1.40m Zwergen geschieht dies des Öfteren) und weinend vom Platz gebracht wurde. Beide waren sichtlich geschockt und wollten sofort losstürmen. Die Mutter blieb dann aber auf halbem Wege stehen und bat den Vater alleine nach dem Wohlergehen des Kindes zu sehen, denn sie wolle nicht als hysterische Mutter dastehen. Was würden denn die anderen denken? Ich persönlich habe ja das Gefühl, die anderen Eltern denken sich nur: Das arme Kind, zum Glück ist es nicht mein eigenes. Aber das ist natürlich nur eine Vermutung von einem Aussenstehenden. Vielleicht denken die anderen Eltern wirklich, wir seien mittlerweile in einer Gesellschaft von Weicheiern angekommen, wenn die Mutter bei jedem Kick ins Gesicht ihres Kindes gleich losrennt. Und wieso wird eigentlich der Vater nicht als hysterisch angesehen, wenn er zu seinem verletzten Kind hinrennt?

Es gibt aber Konstanten, die immer gleich bleiben werden: Die Väter kritisieren und die Mütter loben. Vater: Wieso hast du diesen Ball nicht aus der Ecke gekratzt?! Mutter: Aber das Tor ist ja auch so breit und er ist so klein! Diese Rollenverteilung, dass der Vater die Peitsche schwingt, während die Mutter für das Zuckerbrot zuständig ist, wird sich wohl nicht so schnell ändern. Ich hatte jedenfalls viel Freude daran zu entdecken, dass die grossen gesellschaftlichen Fragen sich auch auf und neben dem Fussballplatz der Kleinen widerspiegelt: Unsere Wettbewerbsgesellschaft, die Geschlechterfrage und allgemein die klassische Rollenverteilung. Nur wäre es schön, wenn das nächste Mal ein besserer Gegner auf dem Platz stehen würde, ich würde meinen kleinen Bruder auch gerne mal in Aktion erleben.

(Bildquelle: flickr.com)

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