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6. April 2012, 00:32 Movie

Kino: Titanic 3D

Gregor Schenker - Zum 100sten Jahrestag des Titanic-Untergangs bringt James Cameron seinen Kinohit von 1997 erneut auf die Leinwände. Und dieses Mal sogar in 3-D. Eine gute Gelegenheit, sich noch einmal mit einem der einflussreichsten Werke der Filmgeschichte zu auseinander zu setzen.

James Cameron hatte sich mit bahnbrechenden Filmen wie Aliens oder Terminator 2 bereits in den Olymp der Regie-Götter katapultiert, als er sich daran setzte, dem Untergang der Titanic ein weiteres Denkmal zu setzen (im Laufe der Jahre war die Geschichte unzählige Male verfilmt worden, einmal sogar von den Nazis). Die Produktion erwies sich als äusserst schwierig und zog sich so lange hin, dass der Kinostart um ein halbes Jahr verschoben werden musste und das Budget derart aus dem Ruder lief, dass Titanic zum teuersten Film seiner Zeit mutierte. Alle Beteiligten erwarteten einen gigantischen Flop und bereiteten sich auf den Bankrott des Filmstudios vor, Cameron konnte sich schon mal darauf einstellen, seine Karriere als Lastwagenfahrer fortzusetzen.

Wie man weiss, kam es anders: Titanic entwickelte sich zum Langzeithit, der in den Kinosälen klebte wie der Kaugummi unter den Sitzen, gewann elf Oscars und spielte mehr Geld ein als jeder andere Film zuvor (Inflation mal aussen vor gelassen). Erst Cameron selbst brach den Rekord mit Avatar. Seither spekuliert Hinz und Kunz darüber, was um alles in der Welt den Film so erfolgreich gemacht hat.

Das Marketing, die flächendeckende Berichterstattung oder schieres Glück trugen sicher das ihrige bei, abgesehen davon versteht es Cameron ganz einfach, Filme effektiv zu inszenieren. Ein genialer Schachzug ist zum Beispiel, das Publikum über eine zeitgenössische Rahmenhandlung an die eigentliche Story heranzuführen. Die Geschichte setzt nicht direkt im Jahr 1912 ein, sondern bei einer Unterwasserexpedition achtzig Jahre später, die von Brock Lovett (Bill Paxton) angeführt wird. Er und seine Begleiter sind gleichermassen nervtötend wie zynisch: Als Lovett für ein Pressevideo einen schwülstigen Kommentar über das Schicksal der Opfer aufnimmt, kriegt er von seinem Assistenten dumme Sprüche zu hören. So werden auch jene Zuschauer abgeholt, die auf Pathos, Schmalz und Liebesgeschichten allergisch reagieren.

Nachdem ein Tauchroboter die Aktzeichnung einer jungen Frau zutage fördert, meldet sich das Model – die inzwischen hundertjährige Rose Dawson (Gloria Stuart). Sie erzählt, wie sie damals als junge Frau (Kate Winslet) mit ihrer Mutter und ihrem Verlobten Cal Hockley (Billy Zane) an Bord der Titanic nach New York reisen wollte, um dort zu heiraten. Als Kunstliebhaberin versteht sie sich mit dem kühlen Geschäftsmann, dem sie versprochen ist, nicht sonderlich, aber aus finanziellen und gesellschaftlichen Gründen führt kein Weg an dieser Ehe vorbei. Vor lauter Panik, als gelangweilte Trophäenfrau zu enden, will sich Rose ins Wasser stürzen – wird aber vom jungen und lebenslustigen, wenngleich mittellosen Maler Jack (Leonardo DiCaprio) davon abgehalten.
In der Folge verlieben sich die beiden ineinander, aber die Standesunterschiede sowie der eifersüchtige und gewalttätige Cal stellen sich Romeo und Julia in den Weg. Zudem ist da noch dieser Eisberg …

Man merkt schon, weshalb Titanic so gut ankam. Der Film bietet einerseits eine schnulzige Liebesgeschichte für die Mädels, andererseits technische Spielereien und viel Action für die Jungs. Mit Jack und Rose stehen zwei junge und bildhübsche Helden zur Verfügung, die man lieb haben muss, während Cal derart konsequent zum geldgierigen, intriganten und gewalttätigen Bösewicht dämonisiert wird, dass man ihn nur hassen kann.
Aber nicht nur die Figuren folgen einem Schwarzweiss-Schema: Titanic gibt sich seltsam klassenkämpferisch, das heisst, er stellt sich auf die Seite einer beschwingten und fröhlichen Unterschicht, die ständig tanzt, während die Mitglieder der Oberschicht als steif, herzlos und arrogant dargestellt werden. Natürlich nicht im Sinne einer marxistischen Analyse oder zur Überwindung gesellschaftlicher Zustände, sondern um dem Publikum zu bestätigen, dass die "normalen" Menschen halt doch irgendwie besser sind als die reichen Eliten.
Cameron biedert sich auf alle Seiten hin an: Rose befreit sich von den sexistischen Zwängen der höheren Gesellschaft und lässt sich von einem unkonventionellen Badboy anbeten. Indessen wischt Jack dem reichen Schnösel Cal eins aus und greift sich ein Luxusweib, das sich gern nackt macht. Die romantischen Vorstellungen sowohl der weiblichen wie auch männlichen Zuschauerschaft werden erfüllt, so wie Ressentiments gegenüber reichen Säcken bedient werden. Die emotionale Filmmusik von James Horner besorgt den Rest an Publikumseinbezug.

Ob der schönen Gesichter und der kitschigen Musik geht sogar vergessen, wie unglaubwürdig und aufgesetzt die Liebesgeschichte im Grunde ist, wie fragwürdig und dämlich sich die Figuren aufführen. Rose ist eine verwöhnte Zicke, Jack ist ein selbstgefälliger Naseweis. Sie kennen sich kaum einen vollen Tag und meinen schon, die ewige Liebe gefunden zu haben, für die man auch schon mal in den Tod geht.

Wobei die Katastrophe ohne die beiden gar nicht erst eingetreten wäre: Hätten sie mit ihrer Turtelei nicht die beiden Matrosen im Ausguck abgelenkt, hätten die den tödlichen Eisberg wertvolle Sekunden früher entdeckt. Hunderte von Toten, nur weil sich zwei notgeile Teenager nicht haben beherrschen können. Ebenso unsympathisch ist Rose als alte Frau, die zwar jahrzehntelang mit einem Mann verheiratet war und mit ihm Kinder aufgezogen hat, aber einem Möchtegernkünstler nachtrauert, mit dem sie sich gerade mal auf dem Rücksitz eines Autos herumgewälzt hat. Als sie am Schluss die Diamantenkette über Bord wirft (weil sie endlich mit der Vergangenheit abgeschlossen hat und Geld nicht das Wichtigste ist, oder so), hätte ich sie am liebsten hinterher geschmissen. Was uns Cameron als romantische Liebe verkaufen will, ist lächerlicher und hohler Soap-Opera-Quatsch ohne jede emotionale Substanz.

Nachdem sich diese ärgerliche Liebesgeschichte eine gefühlte Ewigkeit hingezogen hat, kommt endlich der Untergang. Action, Tote und Spezialeffekte en masse. Jack findet sein verdientes Grab, Rose kommt leider davon – aber immerhin auch Cal, der zwar der nominelle Bösewicht ist, aber als einziger mit soviel gesundem Menschenverstand agiert, dass er einem sympathisch wird. Das rasante Finale wirkt dank der ausgezeichneten 3-D-Konvertierung doppelt beeindruckend; nie hat man eine Katastrophe mit einer derartigen Wucht nachfühlen können. Angesichts dieser unverhohlenen Freude an krachender Zerstörung und krassen Todesszenen kommen einem Camerons Bemühungen zum Ende, um die Opfer zu trauern, ganz schön heuchlerisch vor. Aber solang Leute saftig gegen Schiffsschrauben knallen, soll mir das recht sein.

Noch mehr Analyse findet ihr in Lindsay Ellis' Review oder in Mike Stoklasas Kritik zu Avatar, die auch auf Titanic Bezug nimmt.


Bewertung: 2 von 5


  • Titel: Titanic
  • Land: USA
  • Regie: James Cameron
  • Darsteller: Leonardo DiCaprio, Kate Winslet, Billy Zane
  • Laufzeit: 194 min.
  • Start: 5. April 2012
Fotos von Warner Bros.
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