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29. April 2012, 19:49 Bücher Kultur

Vom Regen in die Vorhölle

Claudia Maag - Ein Spiegel, eine Badewanne und eine junge Frau mit Rasierklinge in der Hand. Sandra Hughes beginnt ihren dritten Roman «Zimmer 307» mit einem Knall, bei dem sich die Ich-Erzählerin das Leben nimmt. Weil ihr Geliebter, Domenico, sie verlassen hat.

Doch führt die Flucht in den Tod an einen besseren Ort? Nicht in diesem Fall. Die 34-Jährige Felicitas erwacht in einer Art Vorhölle, der Abteilung Supervision F, in der Selbstmörderinnen und Prostituierte landen. Hier wird ihre Gesinnung überprüft. Statt Seelenfrieden Leistungsdruck selbst in der Nachwelt. Durch Körbe flechten und Redestunden – die an Mitarbeitergespräche oder Therapiestunden erinnern – lockt der Aufstieg oder droht der Fall. Sandra Hughes lässt die junge Frau in zwei parallelen Handlungssträngen einerseits auf ihr Leben zurückblicken und andererseits in der Vorhölle Karriere machen. Sie reaktiviert eine Abteilung für die Männer, mit einem Platz für Domenico.

Der Leser folgt der blonden, blauäugigen Felicitas, als sie mit kindlichen Augen sieht, wie sie mit ihrer Grossmutter tanzt, anstatt einem Vater mehrere Onkel hat und durch den späteren Partner der Mutter in die Schweiz gelangt. Mit schnörkelloser Sprache schildert Hughes den Alltag mit einem Trinker und einer ohnmächtigen Mutter. Aus dem Kind wird eine schöne, intelligente, aber unsichere junge Frau. Um ihrem schwierigen Umfeld zu entkommen, lässt sie sich zur Empfangsdame ausbilden. Die Receptionistin beherrscht ihren Job und sieht durch ihn die Welt.

Sicherheit oder Leidenschaft?
Domenico trifft sie, als sie in einem Hotel in Pontresina arbeitet. Mit seiner älteren weiblichen Begleitung logiert er wenige Tage im Zimmer 307. Es ist nur eine kurze Begegnung. Doch der Gigolo mit den langen dunklen Locken und den gelben Punkten in den Augen zieht ihr den Boden unter den Füssen weg. Nach seiner Abreise gibt sie ihrem Sicherheitsbedürfnis nach, geht eine stabile, geordnete, verlässliche Beziehung ein. Als ihr Partner die entscheidende Frage stellt, realisiert sie: Das kann nicht alles gewesen sein. Domenico hat sich Felicitas gemerkt und findet sie in einem Hotel in Zürich. Entgegen jeglicher Vernunft lässt sie sich auf eine Amour fou ein, in deren Verlauf sie sich immer mehr verliert.

Gekonnt lässt Hughes klischierte Rollenbilder entstehen, um sie dann zu entlarven und aufzuweichen. Die Vorhölle ist ein in sich geschlossener Raum – die Autorin löst nicht auf, ob Felicitas dies wirklich erlebt, oder sich alles in ihrem Kopf abspielt. In einem sicheren Balanceakt wechselt sie zwischen rasantem und behaglichem Tempo. Sie lässt dem Leser Raum für eigene Bilder und führt ihn mehrfach an der Nase herum. Einmal damit begonnen, will man das Buch nicht mehr weglegen.

Info
Sandra Hughes, Zimmer 307, Roman, Dörlemann Verlag, 192 Seiten, Frühling 2012

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