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16. April 2013, 13:53 Kolumnen

Die Reise nach Hinterpfüpfikon

Marco Büsch - Mein Lieblingsbettler ist verschwunden. Ein kleiner Aufruf, ob ihn vielleicht jemand gesehen hat und eine ausführliche Erklärung, warum er denn eigentlich mein Lieblingsbettler ist.

Seit einiger Zeit fühlt sich mein Alltag so leer an, denn er ist nicht mehr da: Mein Lieblingsbettler. Dabei trieb er sich immer rund um den Stauffacher herum. Ich habe keine Ahnung, wo er hin ist, denn Bettler kommen ja meistens so aus dem Nichts, hauen einem an und verschwinden dann wieder um die Ecke, ohne dass man weiss, wo genau sie jetzt wohl hingehen. Wobei bei meinem Lieblingsbettler gibt es Hinweise auf sein Verbleiben, aber zuerst der Reihe nach: Warum ist er überhaupt mein Lieblingsbettler? Das lässt sich am einfachsten mit einer kurzen schriftlichen Darstellung seiner Betteltaktik erklären.

Mein Lieblingsbettler ist schwarz. Das wäre normalerweise keine grosse Sache, aber es ist Teil seiner Taktik, daraus eine grosse Sache zu machen. Er kommt also so aus dem Nichts auf mich zu und bedankt sich schon von Weitem bei mir und will mir dann auch die Hand schütteln, denn: Ich bin nicht weggelaufen. Dann erzählt er, dass bis jetzt alle anderen davongelaufen seien, weil er doch schwarz sei oder weil sie dachten, er wolle vielleicht betteln oder beides. Jedenfalls seien alle so rassistisch und unhöflich. Ausser mir. Ich bin nett. Und er wolle wirklich nicht betteln. Ehrlich! Er sei nur gerade heute entlassen worden und das Dumme dabei sei: Er habe sein Handy und seine Brieftasche mit dem GA und den Ausweisen im Büro vergessen, aber sie liessen ihn nicht mehr ins Gebäude rein. Ja ne, ist klar. Klingt sehr plausibel. Und jetzt brauche er dringend ein bisschen Geld, damit er ein Billett kaufen kann, um nach Hause zu Frau und Kind zu gelangen. Die warten nämlich schon sehnsüchtig und machen sich sicher Sorgen, weil er nicht zu Hause erschienen ist und auch nicht angerufen hat. Aber eben: Bisher seien immer alle davon gerannt. Dabei bräuchte er nur 17.80 Franken, um nach Hinterpfüpfikon im Aargau zu gelangen, weisst du, dort hinten oben links. Und 5.20 Franken habe er schon, die habe er noch im Hosensack gehabt. Und dann schaut er mit grossen Hundeaugen und sagt nochmals artig Danke fürs Nichtdavonrennen. Und ich gebe ihm zwei Franken. Man fühlt sich zwar auf der einen Seite ein bisschen dumm, weil man dem Bettler das Gefühl gibt, er habe einem wirklich überzeugt mit dieser doch eher absurden Story, andererseits fühle ich mich von solchen Theaterstücken stets prächtig unterhalten und sehe es ein bisschen als Streetart.

Das Beste an meinem Lieblingsbettler ist oder war aber, dass er mich einmal in einer Woche dreimal ansprach. Immer mit der gleichen Show. Einmal sah ich sogar, wie ihm eine junge Frau Geld in die Hand drückte, worauf er sich umdrehte und sogleich zu mir kam, um mir zu erzählen, dass alle Schweizer Angst vor Schwarzen hätten. Ich spielte aber trotzdem jedes Mal mit, einfach weil ich es lustig fand. Wobei ich einmal wirklich im Stress war und keine Zeit hatte für seine Geschichten, weshalb ich den Franken schon hervorgenommen hatte, bevor er fertig mit Erzählen war, da wurde er doch tatsächlich wütend: Er sei doch kein Bettler, er brauche das Geld wirklich nur für das Zugbillett! Das war noch ein Bettler mit Prinzipien, ein Bettler, der für sein Geld arbeiten wollte, wenn auch ein bisschen unkonventionell.

Aber eben: Jetzt habe ich ihn seit Monaten nicht mehr gesehen. Aber vielleicht hat ihn jemand von euch gesehen? Für Hinweise wäre ich sehr dankbar. Vielleicht hat er aber auch endlich genügend Geld gesammelt, um sich ein Billett nach Hinterpfüpfikon leisten zu können. Wünschenswert für ihn wäre es. Ich halte weiterhin die Augen offen, ansonsten ich mir vielleicht einen neuen Lieblingsbettler suchen müsste. Vielleicht derjenige, der immer mit einer Riesenfahne und einem Bier in der Hand ankommt und fragt, ob er Geld für ein Zmittag haben könne. Um neun Uhr abends.

Kolumne auf ronorp.ch

Weitere Kolumnen gibt es auf meinem Blog nachzulesen: Hier!

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