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5. Juni 2013, 00:00 Movie

Kino: Before Midnight

Gregor Schenker - Diesen Donnerstag kommt „Before Midnight“ ins Kino. Erneut reden Celine und Jesse über Gott und die Welt. Robert Salzer und Gregor Schenker haben sich „Before Midnight“ zusammen angesehen und festgestellt, dass sie zu ganz unterschiedlichen Urteilen kommen. Ein Dialog über einen Dialogfilm.

Gregor: Wir haben uns also „Before Midnight“ angesehen und sind dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen.

Robert: Ja, stimmt. Während ich den Film ganz in Ordnung fand, hast Du vernichtende Worte gefunden. Aber erzähl doch erstmals, worum es bei dem Film geht.

Gregor: Es handelt sich dabei um den dritten Teil einer Trilogie von Richard Linklater, Julie Delpy und Ethan Hawke. Angefangen hat es 1995 mit „Before Sunrise“. Darin geht es um die Französin Celine und den Amerikaner Jesse. Beide sind im Zug unterwegs und kommen zufällig ins Gespräch. Jesse überredet die junge Frau, mit ihm in Wien auzusteigen, und die beiden verbringen einige Stunden damit, über Gott und die Welt zu reden.

Robert: Genau. Der zweite Teil heisst „Before Sunset“ (2004) und spielt in Paris. Einige Jahre sind ins Land gezogen und die beiden haben sich aus den Augen verloren. Obwohl sie damals in Wien ausgemacht haben, sich sechs Monate später wiederzusehen, klappte das nicht. Jesse hat aber mittlerweile ein Buch geschrieben, das die Nacht in Wien zum Thema hat. In Paris findet eine Lesung statt, zu der Celine erscheint. Spontan verbringen die beiden den Nachmittag miteinander und quatschen erneut den ganzen Film hindurch, während sie durch Paris schlendern.

Gregor: „Before Midnight“ zeigt uns die beiden noch einmal ein paar Jahre später. Der Vorgängerfilm endete mit der Frage: Bleibt Jesse bei Celine, oder kehrt er zurück in die USA? Jetzt erfahren wir, dass er seine Frau verlassen hat und mit der Französin zusammenlebt. Die beiden sind nicht verheiratet, haben aber Zwillingstöchter. Jesses Entscheidung damals blieb nicht ohne Konsequenzen, denn inzwischen leidet er darunter, dass er seinen Sohn nur selten sieht. Das ist einer der Gründe dafür, dass es zwischen ihm und Celine zu einem grossen Streit kommt.

Robert: Jesse überlegt sich nämlich zurück nach Amerika zu ziehen, um bei seinem Sohn zu sein, während Celine aufgrund eines neuen Jobs lieber in Frankreich bleiben würde. Die Situation erörtern die beiden in Griechenland, wo die Familie ihren Urlaub bei einem Schriftstellerkollegen und dessen Familie verbringt.
Während in den anderen beiden Teilen eigentlich nur Jesse und Celine vorkommen, wird in „Before Midnight“ die Zweisamkeit geöffnet. Da ist neben dem etwas älteren Schrifsteller-Ehepaar ein zweites, gleichaltriges Pärchen zu Besuch, sowie ein ganz junges, ungefähr im Alter von Jesse und Celine in „Before Sunrise“.

Gregor: Es gibt weitere Querverbindungen. Der erste Film beginnt ja mit einem (österreichischen) Ehepaar, das sich heftig streitet. Celine verlässt deswegen ihren Platz und setzt sich neben Jesse. Jetzt, fast zwanzig Jahre später, sind sie selbst dieses verkrachte Ehepaar.
„Before Midnight“ wirft also einen nostalgischen Blick zurück, gleichzeitig merkt man deutlich die Abgeklärtheit der Protagonisten. Im ersten Teil waren die beiden noch sehr romantisch veranlagt, in „Before Sunset“ haben sie schon einiges an Erfahrungen hinter sich gebracht und sind nicht mehr ganz so naiv. Jetzt im neusten Film hat sie der anstrengende Ehealltag im Griff. Die Besonderheit der einmaligen Begegnung ist der Routine gewichen.

Robert: Da die beiden eine romantische Hotelübernachtung geschenkt bekommen, ist die Möglichkeit da, sich erneut unter zwei Augen zu besprechen, aber wie du schon sagtest: das funktioniert nicht mehr. Der Alltag ist eingekehrt und anstatt die Zweisamkeit zu geniessen, zanken sie sich. Man merkt, dass „Before Midnight“ der Abschluss der Trilogie ist und eine Art Résumée der beiden vorangehenden Teile zieht.

Gregor: Wobei der Schluss erneut offen gehalten ist und die Möglichkeit auf einen weiteren Teil besteht. Die Reihe kann theoretisch weiterlaufen, solang die Beteiligten am Leben sind.

Robert: Dadurch, dass alle Generationen im Film vorkommen, wirkte es auf mich wie ein Abschluss. Aber klar: Vielleicht erscheint der nächste Film in sieben Jahren und spielt dann vielleicht in ... öhm ... Florida?

Gregor: Bisher haben wir Jesse und Celine ja immer in Europa angetroffen. Wien, Paris, eine griechische Insel. Mit so einem Hintergrund wirkt ein Film gleich viel intelligenter ...

Robert: Was er nicht ist?

Gregor: Das stört mich an der ganzen Reihe: Keiner der drei Teile ist in meinen Augen auch nur halb so schlau, wie die Beteiligten sich das denken. Die Dialoge sind nicht mehr als eine Häufung von Banalitäten und Gemeinplätzen und werden immer dann besonders schlimm, wenn es „tiefsinnig“ wird. Mein Lieblingssatz stammt aus dem ersten Teil: „If there's any kind of magic in this world it must be in the attempt of understanding someone sharing something.“
Um über pseudointellektuellen Unsinn wie diesen hinwegzutäuschen, umgibt man sich mit der kulturellen Atmosphäre Europas und erwähnt ständig Schriftsteller oder Jazzsängerinnen, um sich als intellektuell aufzuspielen.

Robert: Ich habe damit kein Problem. Für mich ist es auch manchmal spannend Banalitäten zuzuhören. „Before Sunset“ gefällt mir von der Trilogie am besten, vielleicht weil die Situation der Beteiligten altersmässig gut zu mir passt. Vieles davon, was Jesse und Celine sagen, hört man so auch aus seinem Umfeld. Das ist halt oft sehr banal und wird dann als intellektuell verkauft. Ich kriegte so ein wenig den Spiegel vorgehalten.

Gregor: Und ich werde das Gefühl nicht los, dass die Filme ihr eigenes Publikum für dumm halten. Der Anfang von „Before Sunset“ zum Beispiel ging mir gewaltig auf die Nerven: Jesse erzählt an der Lesung von Celine, ohne ihren Namen zu erwähnen. Weil offenbar das Publikum aus Sicht der Filmemacher zu dumm wäre, um die Verbindung herzustellen, spielen sie penetrant Rückblenden aus dem ersten Teil ein.
Und in „Before Midnight“ vergleicht sich Celine einmal mit Medea. Weil Linklater und Co. kein Vertrauen in ihre Zuschauer haben, schieben sie sofort eine Erklärung zum Medea-Mythos nach.
Überhaupt enthält „Before Midnight“ viele solche Momente. Wenn zum Beispiel der griechische Gastgeber seine Gäste vorstellt, so liefert er extra für das Publikum ihre halbe Lebensgeschichte mit. So sagt er sinngemäss: „Das hier ist mein Enkel mit seiner Freundin, und das ist meine gute Freundin Ella, deren Mann vor kurzem gestorben ist.“

Robert: Das störte mich auch. Der Film hat das klassische „Bildungsbürgertum“ als Publikum und dem darf man durchaus zutrauen, dass es Medea ohne Erklärung kennt.
Die Probleme, die im Film diskutiert werden sind ja auch von Leuten denen es eigentlich gut geht. Da nagt niemand am Hungertuch oder hat Mühe einen Job zu finden. Es werden Luxusprobleme verhandelt.

Gregor: Ja, Celine und Jesse sind ziemliche Melodramatiker. Sie beide sind reich, haben einen erfüllenden Beruf, können monatelang Ferien am Mittelmeer machen. Da wirken ihre Probleme ziemlich trivial. Zeig den Film mal einer alleinerziehenden Mutter, die zwei Jobs gleichzeitig machen muss, um ihre Kinder durchzubringen.

Robert: Die hätte wahrlich keine Freude daran. Da ich aber keine alleinerziehende Mutter bin, fand ich den Film alles in allem doch unterhaltsam und lauschte den Banalitäten gerne, um mich auch manchmal mit Spass darüber aufzuregen.
Würdest du den Film weiterempfehlen?

Gregor: Wer die ersten beiden Teile mochte, den wird auch „Before Midnight“ begeistern. Aber wer – so wie ich– Celine und Jesse nicht sympahtisch oder zumindest tolerierbar findet, wird mit keinem der Filme etwas anfangen können. Am besten lernt man die beiden erst einmal kennen, bevor man sich auf etwas Längerfristiges mit ihnen einlässt.



  • Titel: Before Midnight
  • Land: USA
  • Regie: Richard Linklater
  • Drehbuch: Richard Linklater, Julie Delpy, Ethan Hawke
  • Darsteller: Ethan Hawke, Julie Delpy
  • Verleih: Rialto Film AG
  • Start: 6. Juni 2013
Fotos von Rialto
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