Magazin durchsuchen

Neuste Blogs

10. Juli 2013, 00:00 Movie

Kino: The Grandmaster

Joel Walder - Wong Kar Wais neuster Wurf ist ein Film für die grosse Leinwand, der sich wunderbar knapp an der Grenze zur Reizüberflutung bewegt. Eine strammere Struktur wäre ihm aber zugute gekommen.

Wong Kar Wai, der regelmässig den Spagat macht zwischen Hong Kong und Hollywood und sehr erfolgreich damit ist, hat sich in seinem neusten Film dem chinesischen Kampfsport gewidmet. Er handelt vom mittlerweile legendären Ip Man, Grossmeister des Wing Chun und Lehrer von Bruce Lee.

Es geht ihm aber nicht um eine historiografische Biografie. Die Geschichte, in die Ip Man hineingezogen wird, wirkt nie fassbar, geschweige denn realistisch. Dabei bedient Kar Wai grundsätzlich die für Martial-Arts-Filme genretypische Themen: Es geht um Ehre, Treue, Betrug und Können. Auch wenn der Ip Man wirklich existiert hat und Geschehnisse und Schauplätze grob der Geschichte des 20. Jahrhunderts folgen – die japanische Invasion in China der 30er ist zentral –, so dienen historische Begebenheiten höchstens als rudimentäre Plattform für den schematischen Plot.

Zwischen Norden und Süden herrscht ein Konflikt. Zwei Grossmeister stehen sich gegenüber, uneinig, wessen Kung Fu überlegen ist. Als ein Schüler des nördlichen Meisters sich enttäuscht von seinem Mentor abwendet und sich den japanischen Besatzern zur Verfügung stellt, schwört die Tochter des betrogenen Meisters Rache.

Es sind stets grosse, bedeutungsgeladene Gesten, die in The Grandmaster das Narrativ beherrschen. Auch dies liegt in der Tradition der Kung-Fu-Filme, wo die Handlung oftmals nur als Rechtfertigung für ausufernde Kampfsequenzen dient und der Konflikt mit pathetischen Phrasen eingeleitet wird. Wer jetzt denkt, dass Wong Kar Wai dieses altbewährte System radikal umkrempelt, der öffnet Enttäuschung Tür und Tor. Es gelingt ihm aber durchaus, dem Genre seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Auch bei ihm sind die Kämpfe das Rückgrat des Filmes. Seine Eigenart hingegen ist, wie nicht anders zu erwarten, die ausufernde, bildgewaltige Inszenierung.

Ip Man (Tony Leung), bis auf den weissen Strohhut ganz in Schwarz, steht in einer dunklen Gasse, Licht kommt nur von vereinzelten Laternen. Der Regen fällt so dicht, dass das Wasser schon knöcheltief steht. Eine expressive Film-Noir-Atmosphäre entsteht und offenbart, dass Wong Kar Wai filmkulturell auf zwei Hochzeiten tanzt. Die monochromatische Noir-Allüre kontrastiert die farbenprächtige chinesische Architektur im goldenen Pavillon und auf der Tonspur findet sich Platz für das Stabat Mater wie auch die Chinesische Oper. Ip Man ist ein asiatischer Philip Marlowe, der sich mit dutzenden von anonymen Angreifern anlegt und ihnen allen überlegen ist.

Wobei der Kampf vielmehr ein elaborierter Tanz ist, so inszeniert, dass weder Raum noch Zeit eine Rolle zu spielen scheinen. Der Mantel wallt sich im Zeitlupentempo in Nahaufnahmen, gefolgt von einem rasend schnellen Schlagabtausch, die Kamera wechselt mit jedem Schnitt die Position, sich zwischen zwei Einstellungen in Richtung und Perspektive regelrecht kontrastierend. Und überall reflektiert der sprühende Regen das spärliche Licht. Die Arena ist der Realität entrückt und wird zu einem mystischen Ort. Zusammen mit der grossartigen Vertonung ergibt das ein wahres Fest für die Sinne. Und was diese erste Begegnung verspricht, können die darauffolgenden durchaus halten.

Die Konfrontationen ähneln – zumindest da, wo sich ebenbürtige Gegner entgegenstehen – in keiner Weise den rohen Prügeleien, die andere Vertreter des Genres bieten, denen es nur darum geht, wer länger und härter einstecken kann. Dies ist ebenso der tollen Inszenierung wie der kreativen Choreografie von Yuen Woo-Ping zu verdanken, der schon bei Matrix, Kill Bill und Crouching Tiger Hidden Dragon für die Stunts verantwortlich war.

Diese mitreissenden Kampszenen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich dazwischen die eine oder andere Länge einschleicht. Die generelle Ästhetik hat auch nicht mehr die sprudelnde Lebendigkeit eines Fallen Angels oder Chungking Express, sondern wirkt gesetzter und auch klinischer. Doch das ist Kritik auf hohem Niveau. The Grandmaster sieht sehr gut aus und hört sich fantastisch an. Die wahren Probleme finden sich beim Plot, der stellenweise in die Belanglosigkeit abrutscht, sodass der Film einiges an Fahrt verliert. Die emotionale Seite des isolierten, melancholischen Ip Man kommt zwar gut zur Geltung, hätte aber in einer etwas strafferen Narration noch mehr Potential.


Bewertung: 4 von 5



  • Titel: The Grandmaster
  • Land: China, Hong Kong
  • Regie: Wong Kar Wai
  • Drehbuch: Wong Kar Wai, Haofeng Xu, Jingzhi Zou
  • Darsteller: Ziyi Zhang, Tony Leung Chiu Wai, Hye-kyo Song, Jin Zhang
  • Stunt-Koordinator: Yuen Woo-Ping
  • Verleih: Filmcoopi AG
  • Start: 11. Juli 2013
Fotos von Filmcoopi AG
Kommentare
Login oder Registrieren