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2. September 2013, 09:53 Kolumnen

Wann ist schwarz Entsorgen unfair?

Marco Büsch - Schwarz Entsorgen ist unfair. Ausser, es ist etwas Brauchbares, dann ist es ein bisschen weniger unfair. Zumindest an der Strasse, an der ich wohne.

«Schwarz Entsorgen ist unfair, illegal und strafbar.» stand auf dem Plakat der Stadt Zürich geschrieben. Man solle seinen Sperrmüll bitte nicht einfach draussen deponieren und wenn man irgendwo ein solches Mülldepot entdecke, solle man das bitte bei der entsprechenden Telefonnummer melden. Das klingt eigentlich ganz vernünftig, nur in meiner Strasse funktioniert das Ganze ein bisschen anders. Aber tatsächlich: Es funktioniert. Meistens jedenfalls.

Es gibt diese eine Folge in der Serie «How I met your mother», in der sie vom Bermuda-Dreieck vor ihrem Haus sprechen: Man stellt zum Beispiel sein altes Sofa an diesen Ort und kaum hat man ihm den Rücken zugedreht, ist es auch schon verschwunden. In üblicher Sitcom-Manier mag das für viele Zuschauer wahrscheinlich übertrieben klingen, aber ich hatte bei dieser Szene einen ziemlich heftigen «Genau-so-ist-es!»-Moment. In unserer Strasse in Wiedikon sammeln sich oft ganze Möbelburgen an, so dass man das Gefühl hat, jemand habe einfach seinen Hausrat auf die Strasse gekippt, aber so schnell wie der vermeintliche «Müll» gekommen ist, verschwindet er auch wieder. Es ist ein ständiger reger Tauschhandel im Gange: So gut wie jeder im Viertel stellt seine Möbel oder Bücher oder was auch immer an die Ecke und irgendjemand nimmt sie dann wieder mit. Manchmal vergehen Stunden bis dies passiert, manchmal sind die Gegenstände bereits schon wieder weg, wenn man sich gemütlich auf den Balkon setzen will, um mal zu beobachten, wer denn nun solche Dinge überhaupt gebrauchen kann. Das Ganze funktioniert natürlich nur, weil sich die meisten Leute nicht zu schade sind, gebrauchte Gegenstände von der Strasse mitzunehmen. Vom wirtschaftlichen Standpunkt her ist es sicher keine schlechte Sache, seine Güter nicht gleich definitiv zu vernichten, wenn sie vielleicht für jemand anderen noch von Nutzen sein können.

Bevor ich jetzt aber dieses vermeintliche «System» über den Klee lobe, muss ich es schon noch ein bisschen relativieren: Es geht meistens sehr anarchisch zu und her, fernab von jeglicher Kontrolle und leider hat nicht jedes Ding, welches man nicht mehr will, noch einen Nutzen für jemand anderen – oder zumindest nicht für jemanden in dieser Strasse – und so bleiben Gegenstände manchmal auch liegen. Und besonders wenn es geregnet hat, ist die Chance klein, dass die Güter irgendwann noch auf «natürliche Weise» wegkommen und so ist man später doch erleichtert, wenn die Stadt die Strasse in regelmässigen Abständen wieder säubert, ganz gemäss einer der bekanntesten Theorien der Kriminologie, der «Broken window»-Theorie, welche besagt, dass eine kaputte Fensterscheibe umgehend ausgewechselt werden müsse, ansonsten sähe es so aus, als würde sich niemand im Viertel darum kümmern und das Einschlagen von Fenstern habe keine Konsequenzen. Dies wiederum würde zu weiterem Vandalismus führen und das Viertel schlussendlich in die Verwahrlosung stürzen. Würde die Stadt den Müll also einfach auf der Strasse liegen lassen, hätten die Menschen im Viertel das Gefühl, der Staat würde sich nicht mehr um diese Strasse und um sie kümmern und das Vertrauen in die Obrigkeit würde sinken. Die «Broken window»-Theorie hat zwar einige Anhänger, aber auch ebenso viele Kritiker; zum Beispiel wird kritisiert, dass das Reparieren einer Fensterscheibe nur eine Symptombekämpfung sei und kaum gesellschaftliche Probleme lösen könne. Das mag vielleicht stimmen, aber ich glaube, so ziemlich jeder Mensch hat lieber eine saubere Strasse als eine voller Müll. Ich jedenfalls bin froh, dass die Stadt trotzdem noch ab und zu den Restmüll wegräumt, auch wenn er illegal dort liegt, merci vielmal! Wobei es mich tatsächlich interessieren würde, ob die Stadt in unserer Strasse insgesamt weniger Sperrmüll wegräumt infolge des Tauschhandels als in Strassen, wo die Leute zu bestimmten Terminen all ihren Müll vor die Türe stellen.

Natürlich ist unser Tauschhandel an der Strasse kein Gegenpol zur heutigen Wegwerfgesellschaft, es funktioniert ja auch nur bedingt, aber schön wäre es trotzdem. Aber eben: Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist unser Tauschhandel leider zu anarchisch und zu wenig kontrolliert, aber man stelle sich nur mal vor, die Leute würden wirklich nur Gegenstände hinstellen, welche noch brauchbar wären, dann wäre diese Sache tatsächlich eine gute. Vielleicht könnte man sogar an jeder Strasse Boxen aufstellen, wo man Gegenstände reinstellen und rausnehmen könnte; wobei ich glaube, dass sich dies bald zu einer ziemlich einseitigen Angelegenheit entwickeln würde und schlussendlich müsste dennoch die Stadt die übervollen Boxen wieder leeren. Vermutlich ist es doch besser, die brauchbaren Dinge einfach auf Flohmärkten oder Online-Plattformen zu verkaufen und den Rest in die Sperrmüllsammlung zu bringen. Dennoch gibt es gibt mir aber ein wohliges Gefühl, wenn ich daran denke, dass vielleicht gerade jetzt irgendwo ein Kind mit meinen alten Plüschtieren und Legosteinen spielt und diese nicht in einer Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt wurden.

Weitere Kolumnen gibt es auf meinem Blog nachzulesen: Hier!

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