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10. September 2013, 15:58 Kultur students.ch

Basels wilder Westen

Annekatrin Kaps - Die Medien+Theaterfalle Basel zeigt ihr neuestes Stück an ungewöhnlichen Orten in und um den Bahnhof St. Johann. „Im Wilden Westen“ thematisiert Aufbruchststimmung und Überlebenskampf vor über hundert Jahren und heute und reflektiert Lebensentwürfe.

Futuristisch wirken die schicken Neubauten und die Glasverkleidungen der Tramhaltestelle vis-à-vis des alten Bahnhofsgebäudes, der trotz Tramstation, Beiz und Geschäften meist unbelebt ist. Doch das soll sich bald ändern, verspricht Heiner Galliker (Heinz Margot), der inmitten von Gleisen auf einem Gerüst stehend, seinen grossen Auftritt hat. Für „West Life“, ein Grossbauprojekt für Wohnungen, Geschäfte und Büros, beschwört er vollmundig die Vision eines belebten Quartiers, verspricht zweihundert Arbeitsplätze und verkörpert Optimismus.

Dann überlässt der jovial wirkende Geschäftsführer es den fiktiven Gästen – dem Publikum – das weitläufige Gebäude mittels Führer zu erkunden. In verschiedenen Gruppen wandern wir an Gestrüpp und Gleisen vorbei zu einer Halle, in der früher Züge repariert wurden. In den Unterständen haben sich zwei Strassenmusikerinnen eingerichtet, die wunderbar melancholischen Blues spielen und gegen Tauben ankämpfen. Eine ganze Wand ist mit Sprüchen über diese Vögel beschrieben: „Eine Taube ist eine Taube, ist eine Scheisstaube.“ Die gegenüberliegende Wand wirbt für Gallikers Westlifeprojekt mit visualisierten Zonenplänen. Nach einem skurrilen musikalischen Intermezzo – umgebaute Benzinpumpen, die in Röhren enden, ein zum Schlagzeug umfunktionierter Einkaufswagen auf einer Draisine und eine Tuba erzeugen ein hinreissendes Klangspektakel – geht es weiter.

Vor einem halbverfallenem Schuppen werden wir über Kopfhörer mit Bossa-Nova-Klängen und Westlife-Visionen berieselt. Herr Galliker düst im Segway übers Gelände und kontrolliert unauffällig die Besichtigung. Von dem Streit zwei hier ansässiger Kreativer bekommt er nichts mit. Irene Affolter (Sandra Moser), eine Regisseurin, die sich für ihren Film hochverschuldet hat, will keinen künstlerischen Kompromiss eingehen. Marcel Hunn (Martin M. Hahnemann) versucht sie vergeblich für einen Werbespot für West Life zu überzeugen, der ihnen das Geld einbrächte, den Film fertig zu stellen.

Die nächste Station ist das Innere einer Baracke, wo uns die Schauspieler Simon Altherr (Mathis Künzler) und Franca Mettauer (Dominique Lüdi) eine Szene des Auswanderfilmes „Übersee“ vorspielen. Die Wiederbegegnung in Amerika, welche die beiden Liebenden Ruedi und Marie Louise zusammenführt, ist hart an der Grenze zum Kitsch. Über den emotionalen Gehalt hat Simon viel zu erzählen, was zu einigen Lachern im Publikum führt. Aber das Emotionale ist seine Schwäche, als Herr Galliker auftaucht, kommt es zum Eklat. Simon wirft ihm Kommerzdenken um jeden Preis vor und wird laut. Wir werden eilig weitergeführt – zum Apero.

In einem riesigen Holzschuppen wird der neue Bio-Eistee „Go West“ offeriert. Der nach Gallikers hochfliegenden Plänen nicht einfach nur via Basel oder die Schweiz, sondern durch die ganze Welt seinen Siegeszug antreten soll. Ob das mit Randen, denn danach schmeckt er, gelingt, sei dahingestellt. Zur Unterhaltung der potentiellen Investoren wird anschliessend ein Stück vom Film präsentiert, der in Schwarz-Weiss-Bildern das harte Leben in der Innerschweiz Ende des neunzehnten Jahrhunderts zeigt. Dann darf der Tontechniker mit den Gästen noch eine Sprechprobe machen. Der Regisseurin entgleisen allmählich die Gesichtszüge, bis sie ganz davon läuft. Ihr Ding ist der Medienrummel nicht, noch weniger kümmert sie der finanzielle Aspekt.

Der Werbespot wird erneut zum Streitpunkt, vor allem als der windige Galliker den Film ganz cancelt und grosszügig die Übernahme der Schulden mit dem Werbespot verrechnen will. Auch Simon ist gegen den Clip, Marcel und Franca sind dafür. Bestechend einfach wird das von zwei auseinanderfahrenden Wagen verdeutlicht, von denen aus die Kontrahenten lautstark diskutieren.

Die Auswandererpläne von damals und die Ausweglosigkeit eines geplatzten Traumes von heute weisen erstaunliche Parallelen auf. Die Freiflächen des Areals (Teile davon gehören der SBB, einiges davon hat Basel-Stadt bereits aufgekauft) bieten einen idealen Hintergrund, um über Aufbrüche nachzudenken.

Oder über Lösungen aus ausweglosen scheinenden Situationen, zum Ende gibt es einen fulminanten Showdown mit unerwartet, witzigem Ausgang. Mehr sei hier nicht verraten, denn die Inszenierung von Ruth Widmer mit den grossartig spielenden Schauspielern ist absolut sehenswert. Der wundervolle Blues von Christina Volk und Ursina Gregori, die gelungene Wildwest-Szenerie und die ästhetisch bestechenden Filmsequenszen tragen ihren Teil zur charmanten Aufführung bei.

Weitere Vorstellungen bis 5. Oktober, Tickets für 55 CHF Do und So, 66 CHF Fr und Sa, Studenten für 33 CHF Do und So, 44 CHF Fr und Sa, weitere Infos unter www. theaterfalle.ch

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