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28. November 2013, 11:43 Kultur Interview Movie

Interview: Master of the Universe

Gregor Schenker - Grade läuft der Dokumentarfilm „Master of the Universe“ im Kino, der einen bestürzenden, aber auch erfreulich sachlichen Einblick in die Finanzwelt bietet. Wir haben uns mit dem Regisseur Marc Bauder und dem Protagonisten Rainer Voss unterhalten.

Der Regisseur Marc Bauder präsentiert in seinem Dokumentarfilm Master of the Universe Rainer Voss, einen ehemaligen Investmentbanker. Dieser berichtet von seinen Erfahrungen in der Bankenbranche und schafft es, das gegenwärtige Wirtschaftssystem und dessen Fehler anschaulich zu erklären. Wir sprachen mit den beiden über die Architektur von Bankgebäuden, die Wiederkehr von Krisen und die Aufgabe der Universitäten.


Students.ch: Marc, du inszenierst Bankgebäude mit feierlicher Atmosphäre und geistlicher Musik. Sind die Banken die Kirchen von heute?

Marc Bauder: Ja, das sind die Kathedralen des Geldes; Rainer hat das schön beschrieben. Ich versuche – auch mit dem Stabat Mater – die Endsituation im Leben unserer Gesellschaft darzustellen, in der man realisiert, dass man eigentlich etwas tun müsste. Ich hab aber das Gefühl, dass wir uns zurzeit in einer Phase der Lethargie befinden. Wie er das Gebäude wahrgenommen hat, kann ich nicht sagen.

Rainer Voss: Wir haben am allerersten Drehtag diesen Take gemacht, wo wir in diese grosse Halle kommen, die man im Film am Ende sieht. Und ich habe gesagt: „Das ist eine Kathedrale des Geldes und Gott hat uns verlassen.“
Ich habe übrigens beim Stabat Mater diesen Hörfehler. Es heisst da eigentlich: „Tilge, Höchster, meine Sünden.“ Aber ich hör da immer: „Tilge, Höchster, meine Schulden.“ (lacht)

Bauder: In vielen meiner Filme spielt Architektur eine Rolle. Sie zeigt, wie sich jemand nach aussen darstellen möchte. Wenn man sich jetzt die Gebäude ansieht, die im Finanzzentrum von Frankfurt stehen: Da werden grade die Eingangsportale aufgemacht. Sie verwenden viel Glas, um Transparenz zu signalisieren. Wenn man aber hingeht, endet es meist beim Portier. Die spielen eine Transparenz vor, die sie nicht einlösen.
Und dann muss man sich vor Augen führen, dass 30 Prozent der Gebäude in den Finanzzentren Deutschlands oder auch Europas leer stehen. Man sieht das aber nicht, weil alles verspiegelt ist. Da liegt es nahe, den Film dort spielen zu lassen, denn es geht dabei um den Kern der Sache.

Eben, das ganze Gebäude, in dem Sie drehten, steht ja leer.

Bauder: Genau. Ein komplett leerstehendes Gebäude gleich neben der Deutschen Bank.

Voss: Wirklich gruselig, wie in The Shining.

Bauder: Man hatte so das Gefühl, wenn man da reingeht: Gestern sind sie gegangen und morgen kommen sie dann wieder. Überall fanden wir Hinterlassenschaften der Angestellten. Es war spannend, diese Zwischenwelt mit unseren Bildern zu bespielen.

Marc, du hast vorhin die Lethargie der Gesellschaft erwähnt. Da fällt mir die Occupy-Bewegung ein, die inzwischen wieder völlig versandet ist.

Bauder: Man braucht halt Feindbilder, an denen man sich orientieren kann. Orte, an die man hingeht. Die Finanzkrise ist aber so diffus und spielt sich an so vielen Ecken ab, dass man nicht weiss, wo man ansetzen soll.
Occupy Wall Street war auch nur ein solches Symbol, die eigentlichen Tatorte sind viel weiter verstreut. Da hatten nun alle ein ähnliches Bauchgefühl und suchten etwas zum Greifen, aber da war nichts. Und irgendwann ist man halt in den Alltag zurück.
Mit dem Film wollten wir ein bisschen länger dranbleiben. Wir waren so anderthalb Jahre im Finanzzentrum und haben in der Zeit kein einziges anderes Kamerateam gesehen. Das sagt viel über das ermüdende Interessen der Medien aus.

Voss: Ich bin nicht ganz mit dem Begriff der Lethargie einverstanden. Es hängt vom Land ab. Ich bin jetzt den zweiten Tag hier und habe das Gefühl, dass die Schweiz ein Wut-Level erreicht hat, das über dem deutschen liegt. Die Schweizer haben nach Vasella und Co. genug, da ist die Lethargie vorbei. Und dann gibt es ja diese 1:12-Initiative. Es ist eigentlich irrelevant, wie diese ausgeht, denn diesen Diskurs in die Gesellschaft hineintragen zu können, das ist ein unheimliches Privileg. Das hat sich letzten Endes aus Wut rekrutiert; das ist ein ganz produktives Gefühl. Und hier in der Schweiz haben Sie sie demokratische Möglichkeit, das auszudrücken, direkter als in Deutschland.

Aber sind Feindbilder nicht auch problematisch?

Bauder: Es kommt drauf an, wie man seine Wut ausdrückt. Das muss sich nicht gleich in Agressionen enden, es kann auch einfach Aktivität auslösen. Dass man selber losgeht und recherchiert. Was wir im Film erzählen, das sind ja keine Geheimnisse, die kann man zum Beispiel im Internet finden. Man muss nur dranbleiben und nicht schon beim ersten Artikel darüber einschlafen. Der Film soll schon dazu auffordern, selber aktiv zu werden.

Die meisten Leute haben ja auch wenig Ahnung davon, was sich hinter den gläsernen Fassaden der Banken abspielt.

Bauder: Denen kann man sagen: „Habt keine Angst, guckt euch das an. Guckt in das Gebäude, wie leer es eigentlich ist. Lasst euch von diesen Hochglanzfassaden nicht ablenken und auch nicht von dem Image, das die Banken nach aussen produzieren. Hinterfragt, was die tun, und trefft eure eigenen Entscheidungen.“

Verbergen denn die Banken bewusst die Wahrheit?

Voss: Nein, da steht keine Absicht dahinter. Das kommt einfach daher, dass das System so komplex geworden ist, dass man es nicht mehr versteht. Man muss schon sehr ignorant sein, um den grossen Banken – UBS, Deutsche Bank und so weiter – Intransparenz vorzuwerfen. In den Geschäftsberichten von denen steht alles drin, was man wissen muss. Alles. Nur ist keiner mehr dazu in der Lage, diese Informationen miteinander zu verknüpfen und in einen vernünftigen Zusammenhang zu setzen.
Ich stelle mir das so vor wie einen Brockhaus, ein dickes Lexikon. Das schüttelst du einmal durch, so dass die ganzen Buchstaben durcheinanderfallen, und dann geb ich dir das und du sollst daraus wieder ein Lexikon machen. Das klappt nicht.
In der Panik, Intransparenz vorgeworfen zu bekommen, schreiben die alles in die Geschäftsberichte rein. Aber es liegt an dir, aus den Informationen Rückschlüsse zu ziehen. Aber das kannst du nicht. Das kann ich auch nicht, obwohl ich – bei allem Respekt – wohl etwas mehr davon verstehe als du.

Du machst ja im Film auch dieses Beispiel mit den vielen Ordnern: Eine Bank müsste theoretisch nach einer Übernahme sämtliche Dokumente durchgehen, aber es ist fast unmöglich, bei der Menge den Überblick zu bewahren.

Voss: Das ist natürlich nur ein Bild. Es gibt diese Ordner nicht, aber es gibt diese ganzen Geschäfte. Ich habe einfach versucht, das plastisch auszudrücken.

Das ist grade eine Stärke des Filmes, dass du vieles sehr plastisch, sehr nachvollziehbar ausdrücken kannst.

Voss: Wenn das so ist, freut mich das.

Bauder: Ich finde es wichtig, dass man diese ganzen Begrifflichkeiten der Banken wegschält, auf den Kern kommt und die Mechanismen hinter der einzelnen Krise nachvollzieht.

Voss: Ich kann nur sagen: „Leute, fragt. Und wenn derjenige, den ihr da fragt, euch nach viermal nachfragen nicht erklären kann, wie es geht, weiss er es selber nicht.“

Bauder: Es gibt Leute in meinem Freundeskreis und ich habe Politiker getroffen, die hoch studiert sind, die es aber irgendwann aufgegeben haben, sich damit zu beschäftigen. Durch die bildhafte Sprache, die Rainer hat, merkt man jetzt: Es lag gar nicht an einem selber, dass man es nicht verstanden hat.

Wie lang habt ihr jetzt eigentlich für den Film zusammen gearbeitet?

Bauder: Der konkrete Dreh war im November letzten Jahres und diesen Januar und März. Dazwischen haben wir schon mit dem Material gearbeitet. Was bei einem Dokumentarfilm und bei diesem komplexen Thema eigentlich recht kurz ist, aber wir haben ja nicht versucht, einen einzelnen Fall zu rekonstruieren, sondern eine Parallelität zwischen verschiedenen Fällen zu erstellen, um hinter zu Oberfläche zu blicken, um zu zeigen, dass sich solche Krisen auch wiederholen. Während wir grade versuchen, die Immobilien-Krise abzuarbeiten, entsteht wieder eine neue. Ich fand es interessant, diesem wiederkehrenden Mechanismus nachzuspüren.

Der Film hat auch eine stark subjektive Komponente. Du, Rainer, stellst dich als Person ins Zentrum und machst dich angreifbar. War das schwer für dich?

Voss: Mir ist das sehr leicht gefallen. Sicher gibt es ein paar Stellen drin, wo ich sagen würde: „Och, ja, find ich jetzt nicht so toll.“ Aber das waren auch Takes von sechs, acht Stunden und es war kalt in dem Gebäude. Das ist physisch anstrengend. Dann kann man nicht mehr so präzise formulieren, wie man gerne möchte.
Was für mich gar nicht gegangen wäre: So ein Michael-Moore-Ding. Natürlich kann ich dir neun Folgen „Schulmädchen-Report“ machen, wo ich über Banken ablästere. Da liegen sich da alle in den Armen und sagen: „Wir wussten ja schon immer, das sind alles Schweine.“ Aber damit ist ja keinem geholfen.
Und aufgrund meiner Biographie hab ich eigentlich die Legitimität für Kritik verloren. Ich kann nicht 25 Jahre in einer Industrie arbeiten, dabei gut verdienen und mich dann umdrehen und sagen: „Das sind alles Doofmänner.“ Das ist ja unredlich und auch unglaubwürdig. Deswegen ist der Film sehr deskriptiv. Ich erzähle Anekdoten aus meinem Leben und wie ich die Dinge sehe, aber ob ich die richtig oder falsch sehe, das ist dem Zuschauer überlassen. Und die Deutungshoheit über mein Leben hab am Schluss nur ich, ich habe es gelebt. Das ist für mich auch ein Selbstschutz.

Du sagt ja auch mal im Film, dass du nicht den Anspruch hast, die absolute Wahrheit zu verbreiten.

Voss: Ich denke aber auch – das sag ich jetzt mal ganz unbescheiden –, dass meine Sicht einen besonderen Wert bekommt, weil ich fast zeitgleich mit dem Big Bang angefangen habe, der am 27. Oktober 1986 stattgefunden hat. Also die grosse Finanzmarkt-Deregulierung durch Margaret Thatcher. Der Fallout hat mich quasi mitgespült. Dass jemand, der fünf Jahre vorher oder fünf Jahre nachher in die Branche eingestiegen ist, völlig anders sozialisiert ist und die ganzen Dinge völlig anders sieht, dass sich so jemand hinstellt und sagt: „Was hat denn der dicke Mann da eigentlich für ein Problem?“ Das versteh ich auch.

Bauder: Wobei ich schon finde, dass er stellvertretend für viele einen fundierten Einblick gibt in diese Welt. Er erzählt jetzt nicht viel über die konkreten Fälle, aber die Psychologie, die findest du überall. Wir tauchen zum einen in eine Person tiefer ein, aber dann kommen wir auch wieder an den Punkt, wo es um einen Typus von Mensch, um eine ganze Branche geht.

Ihr kommt im Film auch immer wieder auf die verschiedenen Finanzskandale zurück.

Bauder: Es ist wichtig, dass man das miteinander verknüpft. Wir zeigen die Geschichte seines Lebens und gleichzeitig die Geschichte der Finanzwelt.

Voss: Was mir halt noch wichtig ist: Man kann den Film natürlich als Film über die Finanzwirtschaft sehen, aber für mich steht dahinter eine gesellschaftspolitische Vision. Denn wir können nicht so weitermachen wie bisher und gerade euch Studenten fällt eine wichtige Funktion zu. An den Universitäten müssen viel mehr Diskussionen über ethisches Verhalten stattfinden. Alles was die Politik machen kann, ist Dinge zu reparieren, die schon passiert sind. Aber dass Menschen anfangen zu reflektieren und von sich aus bestimmte Dinge unterlassen, weil sie einfach nicht richtig sind: Da müssen wir hinkommen.
Wir sind da auch nicht blauäugig; das dauert bestimmt Jahrzehnte.

Bauder: Dass man auch bei sich selbst wieder anfängt, Verantwortung für sein eigenes Handeln zu übernehmen. Auch wenn man sieht, dass in der Wirtschaft und Politik keiner mehr Verantwortung übernimmt. Und dann Druck auf die Politik ausüben und sich nicht für unmündig erklären lassen.

Voss: Der englische Ausdruck ist „empowerment“, Ermächtigung.
Und lass mich auf die Sache mit den Studenten zurückkommen. Vieles liegt daran, wie an den Universitäten ausgebildet wird. Ich habe viele Leute kennengelernt, die von diesen sogenannten Elite-Unis kommen. Und ich habe den Eindruck, dass diese Leute den Blick fürs Ganze verloren haben. Die funktionieren in einem fest umschriebenen Raster und in diesem Raster funktionieren die besser als ich je könnte. Aber ich hingegen weiss auch, was links und rechts von mir passiert. Wenn man in so einer Situation sitzt, wo man nicht weiss, was davor und danach kommt, verliert man automatisch das Verantwortungsgefühl. Man erkennt nicht mehr: „Wenn ich das oder das mache, kommt das dabei raus.“
Da müssten wir viel mehr zu einer Ausbildung kommen, die den Humboldtschen Allgemeinbildungsgedanken hat. In der die Leute lernen, mit moralisch-ethischen Fragestellungen umzugehen und vom Excel sheet zu einem Wertekanon zu kommen.

In der Schweiz hat man ja auch diese Auseinandersetzung zwischen einem humanistischen Bildungsideal und den Ansprüchen der Wirtschaft. Da geraten gerade die Geisteswissenschaften in Erklärungsnot.

Voss: Es muss ja nicht jeder die ganze Philosophie machen, aber zumindest wieder diskutieren lernen, reden lernen und zuhören lernen. Und dass man sein Gegenüber respektiert. Es gibt ja vieles, das man erst in Diskussionsrunden lernt. Das halte ich einen ganz essentiellen Bestandteil, der seinen Platz im Bildungssystem verdient.

Bauder: Ich war neulich für Die Zeit auf einem Podium mit einem Organisationswissenschaftler, und da ging es um die Verdichtung mit diesem MBA-Rhythmus, in dem man in kurzen, auf die spätere Tätigkeit ausgerichteten Studienblöcken schnellstmöglich durch die Ausbildung kommt. Das wurde vor plus minus zehn Jahren eingeführt, wird jetzt aber zum Problem, weil nur noch Leute rauskommen, die zu keinem Überblick fähig sind. Da hat die Wirtschaft etwas gefordert, ohne die Folgen zu bedenken. Wir dürfen uns nicht mehr von einseitigen Bedürfnisdefinitionen abhängig machen.


Lest auch die Kritik zum Film.


Bilder von Frenetic Films


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