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28. April 2014, 17:50 Kolumnen

Im Wagen vor mir

Marco Büsch - Manchmal spielt einem der Zufall einen Streich. Oder ist es doch kein Zufall? Eine Kolumne über die Ängste auf einer Tramfahrt zwischen Kunsthaus und Unispital.

Gestern stand ich an einer Haltestelle und wartete auf den 31er-Bus, als eine junge Frau im gleichen Alter sich zu mir gesellte und mitwartete. Ich bin ziemlich sicher, dass ich sie nicht kannte, so sicher, wie man sich ohne eine Brille, obwohl man eigentlich eine aufhaben müsste, eben sein kann. Der Bus kam und wir stiegen beide ein. Soweit, so unspektakulär. Ich stieg beim Kunsthaus aus und bewegte mich hinüber zur Tramhaltestelle, denn ich musste mit dem 9er-Tram hoch zum Unispital. Und wieder gesellte sich die Frau zu mir, setzte sich sogar neben mich auf die Bank. ich kombinierte scharf: Sie war wohl auch ausgestiegen. Das gibt es, das ist nichts Ungewöhnliches. Wir warteten also zusammen. Das 8er-Tram rollte heran und fuhr weiter, sie blieb sitzen. Das 5er-Tram rollte heran und fuhr weiter, sie blieb sitzen. Das 9er-Tram rollte heran und wir stiegen beide ein. Jetzt bekam ich langsam ein mulmiges Gefühl: Was wäre, wenn sie auch beim Unispital aussteigen würde? Wie müsste man vorgehen? Was wäre zu tun? Verfolgt sie mich? Solche Gedanken sind lächerlich, ich leide doch nicht unter Verfolgungswahn, diese Frau ist zweimal mit mir in dasselbe öffentliche Verkehrsmittel eingestiegen, das wird ja wohl nichts bedeuten. Die fährt sowieso weiter, sieht mir nach einer Uni-Irchel-Biologie-Studentin aus. Ich weiss nicht mehr, warum ich sie den Biologiestudenten zuordnete, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie wohl erst dort oben aussteigen würde.

Nun, ich würde ja wohl kaum darüber schreiben, wenn sie nicht auch mit mir beim Unispital ausgestiegen wäre. Sie überquerte die Strasse und zielte in Richtung Unispital. Ich versuchte mich zu beruhigen: Die ETH ist ja auch dort vorne. Und die Uni auch. Vielleicht gibt es im Uni Zentrum auch Biologie-Vorlesungen. Es muss jedenfalls nichts heissen, dass sie sich in dieselbe Richtung bewegt wie meine Wenigkeit, zumal sie sich vor mir befindet und es jetzt vielmehr so aussehen könnte, als würde ich ihr folgen. Ich überlegte mir, dass sie vielleicht genau die gleichen Gedanken hatte und dachte, ich würde sie verfolgen. Ich verlangsamte meine Schritte ein wenig, sie jedoch blieb stehen und war mit ihrem Handy beschäftigt. So konnte ich nicht weiter mit einem Sicherheitsabstand hinter ihr gehen und musste mich an ihr vorbeibewegen, während ich angestrengt versuchte, sie auf keinen Fall anzusehen und ihr damit das Gefühl zu geben, ich verfolge sie oder wolle etwas von ihr. Sie guckte auch weg, kam aber wieder in Bewegung, kaum hatte ich sie passiert. Und ich dachte mir: Das ist es jetzt also, du bist verrückt geworden und hast jetzt eine ausgewachsene Paranoia. Man hört es ja immer wieder: Genie und Wahnsinn liegen so nah beieinander. Immerhin könnte es endlich ein Beweis dafür sein, dass ich ein Genie bin. Ein verrücktes zwar, aber immerhin ein Genie. Gleichzeitig trieb mir der Gedanke den Schweiss auf die Stirn, dass die Chance bestand, dass ich wirklich von der Frau verfolgt würde. Was sollte ich tun? Mich umdrehen und sie damit konfrontieren? Die Karten auf den Tisch legen? Und welche Karten genau? Und wenn sie doch nicht hinter mir her war, mich fürchterlich blamieren? Vielleicht würde sie aber auch ein Samuraischwert ziehen und zum Nahkampf übergehen und wir würden uns eine Verfolgungsjagd durch ganz Zürich liefern. Ich beschloss, mich ruhig zu verhalten und die Situation weiterhin genau zu beobachten und zu analysieren.

Ich betrat also das Unispital und meine Befürchtungen wurden bittere Wahrheit: Sie verfolgte mich nun doch, kam gleich hinter mir auch zur Türe herein. Jetzt wurde es wohl Zeit für mich zu handeln. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Ob verrückt, wirklich verfolgt oder reiner Zufall: Es würde sich jetzt entscheiden, der Moment der Wahrheit war gekommen. Ich steckte meine Hand in die Hosentasche, nahm mein iPhone hervor und tat so als würde ich mir nochmals etwas ganz Wichtiges ansehen, so dass sie vor mir an den Infoschalter konnte. Die Frau ging ohne eine besondere Regung oder ein geheimes Zeichen an mir vorbei, fragte die Dame am Schalter nach Auskunft und verschwand dann in irgendeinem Trakt. Dann kam ich an die Reihe, ich erfuhr, dass ich in die entgegengesetzte Richtung musste und mein Körper entspannte sich wieder. Erleichterung machte sich breit: Ich war wohl doch nicht das Ziel einer Verfolgung gewesen. Gleichzeitig wurde mir klar, dass ich wohl nicht wichtig genug bin, um verfolgt zu werden, worüber ich auch ein wenig enttäuscht war. Wobei die Frau froh sein konnte, dass ich nicht meine Kinderjudokünste von vor 15 Jahren auspacken musste. Da hätte sie schön gestaunt. Immerhin habe ich es bis zum halbgrünen Gürtel geschafft! Nun, es ist vielleicht besser so, wie es gekommen ist, ich muss aber zugeben: Ein bisschen Paranoia war da schon dabei. Deutet das jetzt auf ein klein bisschen Genie hin? Das hoffe ich doch. Bis dahin höre ich mir den alten Schlagerklassiker «Im Wagen vor mir» von Henry Valentino nochmals an und beruhige mich mit dem Gedanken, dass wohl nicht nur ich mich manchmal verfolgt fühle; vielleicht war die Biologiestudentin ja auch ganz froh drum, dass ich sie ebenfalls nicht verfolgt habe.

Weitere Kolumnen gibt es auf meinem Blog nachzulesen: Hier!

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