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13. Oktober 2014, 23:20 Movie

Kino: L'Abri

Murièle Weber - Frauen und Kinder dürfen rein in den Bunker. Die Männer müssen draussen schlafen. In der Kälte. Im dritten Teil seiner Trilogie über das Fremdsein in der Schweiz zeigt uns Fernand Melgar den dramatischen Alltag in einer Notschlafstelle in Lausanne.

Lausanne. Nacht. Minus 10 Grad. Kurz vor 23 Uhr. Müde stehen die Menschen in zwei Gruppen hinter dem Gitter vor dem Eingang zum Zivilschutzbunker, der als Notschlafstelle für obdachlose Ausländer dient. Männer auf der einen Seite, Frauen und Kinder auf der anderen.

Als die Türe aufgeht, kommt Bewegung in die Menschen. Sie stossen und sie drücken, sie drängeln und sie quetschen. Jeder will rein. Die Betreuer des Schutzbunkers stellen sich den Massen entgegen, versuchen Ordnung zu waren. Frauen und Kinder zuerst. Der Platz ist knapp. Wenn noch Betten übrig bleiben, dürfen auch ein paar Männer rein. Die Betreuer entscheiden, wer die kostbaren Schlafplätze bekommt.

Eigentlich hat es nur 44 Betten. Wenn die Temperaturen unter minus 10 Grad fallen, dürfen auch mal 70 rein. Je offensichtlicher es wird, dass die Zahl langsam erreicht ist, desto verzweifelter und aggressiver wird die Stimmung draussen. Ein Mann schnappt sich das Kind aus den Armen seiner Frau, hofft so Einlass zu erhalten. Die Betreuerin weist ihn zurück, hinter die Absperrung. Das Kind und die Frau dürfen rein, er nicht.

Es sind dramatische Moment, die sich jeden Abend in den Wintermonaten vor dem Zivilschutzbunker in Lausanne abspielen. Doch Verzweiflung herrscht auf beiden Seiten. Wen von den Männern reinlassen? Wer hat diese Woche schon hier übernachtet? Wer hat draussen übernachten müssen und sich eine Nacht im warmen „verdient“? Unter welchen Bedingungen erfriert ein Mensch im Freien?

Es sind keine einfachen Fragen, die sich die Betreuer dieser Notfallunterkunft für obdachlose Ausländer stellen müssen. Immer hat es mehr illegale Ausländer, abgewiesene Asylsuchende und Wanderarbeiter auf der Suche nach einem warmen Ort zum Schlafen, als es Platz hat. Einen zweiten Luftschutzbunker will die Stadt nicht öffnen: Man will kein Anziehungspunkt werden.

Regisseur Fernand Melgar ist der Sohn spanischer Einwanderer, die als Saisonniers in die Schweiz kamen. Er selber lebte einige Jahre mit seiner Schwester im Versteckten in einer Mietwohnung, weil er eigentlich nicht hätte hier sein dürfen.
Mit L’abri vervollständigt er nun seine Trilogie zu den Themen „Fremdsein“ und Leben in der Illegalität in der Schweiz. Während er in La fortresse den Alltag in einem Empfangszentrum für Asylsuchende beobachtete, richtete er seinen Blick in Vol spécial auf die schwierige Praxis der Ausschaffungsflüge. In L'abri nun zeigt er die Situation in einer Notschlafstelle.

Immer geht es dabei um die Unsichtbaren in unserer Gesellschaft und den Umgang mit Menschen, die nicht willkommen sind. Aber es sind keine klaren Fronten, die Melgar aufzeigt. Es stehen sich nicht herzlose Betreuer und vom Krieg versehrte Flüchtlinge gegenüber. Eher sind es Menschen mit einem Gewissen, die in einer schwierigen Situation harte Entscheidungen fällen müssen auf der einen Seite und Menschen nicht aus ausweglosen, aber doch unangenehmen oder harten Umständen auf der Suche nach einem besseren Leben auf der anderen Seite.

Wie schon in La fortresse und Vol spécial beobachtet Melgar nur stumm und bietet keine Lösungsvorschläge. Ohnehin scheint die Situation aussichtlichtslos in einer globalisierten Welt, in der die einen so viel mehr haben, als die anderen. Die Armen aber genauestens über den Reichtum der anderen informiert sind.



Bewertung: 5 von 5

  • Titel: L'abri
  • Land: CH
  • Regie: Fernand Melgar
  • Verleih: Filmcoopi
  • Start: 9. Oktober

Fotos von Filmcoopi

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