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5. Juni 2008, 22:18 Music Movie

Slumming

Christina Ruloff - In Österreich geht es wild zu und her; genauer gesagt, ist natürlich Wien der Sündenpfuhl. Und die Künstler der Alpenrepublik bemühen sich wie so oft ihre Nation zu geisseln. So wird Slumming ein schonungsloser und spannender Film, von dem sich das Schweizer Filmschaffen meh...

In Österreich geht es wild zu und her; genauer gesagt, ist natürlich Wien der Sündenpfuhl. Und die Künstler der Alpenrepublik bemühen sich wie so oft ihre Nation zu geisseln. So wird Slumming ein schonungsloser und spannender Film, von dem sich das Schweizer Filmschaffen mehr als nur eine Scheibe abschneiden könnte.

Kallmann gehört zu der Sorte Menschen, die den arglosen Fussgänger regelmässig dazu bringen, hastig das Trottoire zu wechseln. Der Sandler – gut österreichisch für Penner – belästigt seine Umwelt mit Gebrüll, Gebettel und wüster Publikumsbeschimpfung. Wien ist seine Bühne, die Passanten sind abwechslungsweise Statisten oder Opfer. Ab und dann bietet er ein selbstgekleckertes Gedicht über den Zerfall der Welt zum Kauf an. Und hinterher versäuft er die erpressten Euros. Alexander und Sebastian treiben sich in der gleichen Gegend herum, allerdings sind der Studi und der nichtstuende Erbe „whalewatching“: Sie besichtigen auf ihren Elendstouren mit fast wissenschaftlichem Interesse Randständige, Ausländer und verzweifelte Frauen, treiben sich in Kneipen und Spielhöllen herum und knipsen Bilder von den verachteten Studienobjekten. Eines Nachts finden sie Kallmann besoffen auf einer Bank und beschliessen ihm, der „sicherlich zu Hause seine Mutter tyrannisiert und sie für sein Unglück verantwortlich macht“, eine Lektion zu erteilen. Sie schmuggeln ihn im Kofferraum über die Grenze nach Tschechien, wo dieser am Morgen in einer fremden Welt, weitab von Wien erwacht: Ohne Geld, ohne Pass, ohne Sprachkenntnisse. Pia, die neue Freundin von Sebastian, findet den Bubenstreich jedoch gar nicht lustig, und macht sich auf, den Unbekannten zu retten...

In der Stammkneipe in Wien kennt sich Kallmann aus. Der Schnaps ist günstig, die Sprache Wienerisch und das Leben verläuft in geregelten Bahnen. Das andere noch einen grössen Knall haben, kann er sich gar nicht vorstellen...

Slumming (die filminterne Bezeichnung für s’Whalewatching in Wiens Elend) ist ein spannender Film, mit merkwürdigen Charakteren, mit klasse Schauspielern, mit tollen Kameraeinfällen. Allen voran überrascht der Film regelmässig mit neuen und tatsächlich unerwarteten Wendungen, verschont einen aber mit anstrengenden Allgemeinplätzen und moralischen Lehren; Regisseur Michael Glawogger erhebt nie den Finger, sondern schilderte echte, unerfreuliche und doch so menschliche Randständige, die allesamt einen Knall haben und einem doch so bekannt vorkommen. Die Dialoge – besonders wenn Sebastian sich an Frauen heranschmeisst und die ihm ihr Leben erzählen – sind absurd, schreiend wahr und gerade deshalb so gelungen.

Slumming ist aber nicht nur eine gut erzählte Geschichte, sondern ein interessant und packend inszenierter Film. Perspektiven, Schwenks, Tiefenschärfe vermengen sich mit der Musik zu einem kleinen Kunstwerk, das wirklich mitzureissen vermag. Man ist – gerade als aufrechter Helvetier – selten eifersüchtig auf die Alpenrepublik, aber Slumming gibt schlicht Anlass zur Bewunderung: Ein kleiner, grosser Film.

Bewertung: 4 von 5

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  • Titel: Slumming
  • Land: Österreich
  • Dauer: 100 Minuten
  • Regie: Michael Glawogger
  • Schauspieler: Paulus Manker, August Diehl, Michael Ostrowski, Pia Hierzegger
Für Wiener undenkbar: Es gibt eine Welt ausserhalb Wiens! Kallmann muss das am eigenen Leibe erfahren.
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