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31. August 2008, 13:51 Movie

DVD der Woche: Stop-Loss

Christina Ruloff - Ein herausragender Film über den Irakkrieg und seine Folgen an der Heimfront: Stop-Loss von der grossen Regisseurin Kimberly Peirce (Boys Don’t Cry) macht nicht nur wütend und traurig, sondern demaskiert präzise ein politisches System und schildert die hilflosen Opfer.Einmal...

Ein herausragender Film über den Irakkrieg und seine Folgen an der Heimfront: Stop-Loss von der grossen Regisseurin Kimberly Peirce (Boys Don’t Cry) macht nicht nur wütend und traurig, sondern demaskiert präzise ein politisches System und schildert die hilflosen Opfer.

Einmal fragt Michelle ihren alten Schulfreund Brandon wie es denn im Irak wirklich sei. Ihr Verlobter Steve, Brandons bester Freund, habe ihr nie etwas erzählt. Es sei sandig, heiss, voller Fliegen und Flöhe, die meiste Zeit furchtbar langweilig und dann tauchten plötzlich aus dem Nirgendwo Leute auf, die einen umbringen wollten. Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, aber was würde seine Freundin von ihm halten, wenn sie wüsste, dass er eine Familie mit einer Granate getötet hat, eine Frau und ihre beiden Kinder auf der Couch, weil er seinen Kollegen, angeschossen im selben Raum, retten wollte? Er wusste ja nicht, wer um die Ecke auf Couch sitzt. Oder dass er im selben Haus, als sich ein „Terrorist“ mit einem Kind schützte, zugleich aber eine Granate werfen wollte, beide erschossen hat?

Endlich zu Hause! Die Eltern schwanken zwischen Glück und Stolz und hätten nie gedacht, dass ihnen ihr Land ihren Sohn in Kürze wieder wegnimmt.

Der Albtraum Irak ist scheinbar vorbei, als Sergeant Brandon King und seine Kollegen in ihre Heimatstadt Brazos, Texas, zurückkehren. Es gibt eine grosse Parade, Fahnen werden geschwungen, „America the beautiful“ gesungen, die Eltern weinen vor Stolz und vor allem vor Glück, ihren Sohn wieder zurück zu haben. Man trinkt, betrinkt sich, feiert und doch stellt sich die alte Geborgenheit zu Hause nicht richtig ein. Steve glaubt, zurück im Irak zu sein und gräbt sich im Garten einen Schützengraben, gerät mit Michelle aneinander und löst den Konflikt wie gewohnt und internalisiert mit den Fäusten. Das Sorgenkind Tommy ist andauernd betrunken, so dass ihn seine Frau aus dem Haus wirft. Und Brandon träumt immer wieder von Rico, der irgendwo in einem Armeespital blind und mit nur noch einem Arm und ganz ohne Beine wartet, nach Hause zu kommen, aber weiss dass nur sein Tod seiner illegal eingewanderten Familie die Greencard gebracht hätte. Die Lage eskaliert, als Brandon am letzten Diensttag erfährt, dass er erneut in den Irak geschickt werden soll; zwangsweise ist er wie bislang 81'000 andere Soldaten „stop-lossed“ und kann sich gar nicht dagegen wehren.

Brandon (Ryan Phillippe in einer Paraderolle) kann nicht vergessen, was er alles erlebt hat - und wen er nicht zu retten vermochte.

Spätestens an diesem Punkt deckt Kimberly Peirce die Verlogenheit und Arroganz einer Regierung auf, die ihre Soldaten schlicht verachtet und missbraucht – und inszeniert es wirklich nicht überspannt intellektuell oder sonderlich politisch, sondern erschreckend natürlich und real: Als sich Brandon nämlich zur Wehr setzen will und in seiner Verzweiflung „fuck the President, he ain’t in Irak!“ brüllt, wird er verhaftet. Alternativen zur endgültigen Flucht nach Kanada oder Mexiko, die eine Rückkehr in die Heimat für immer ausschliesst, gibt es keine. Wer den Befehlen des Militärs nicht Folge leistet, wird von der öffentlichen Ordnung gejagt und verliert die Existenz und Identität. Wen die Armee nicht mehr brauchen kann (wie den Alkoholiker Tommy), entlässt sie krank und verstört, überfordert und verloren in die amerikanische Realität. Die Eltern sind verzweifelt und verängstigt, passt diese Facette doch so gar nicht in ihr Bild vom grossen und schönen Amerika. Und die jungen Männer, die aus Idealismus, aus Mangel an Perspektiven oder schlicht aus Armut in die Armee gegangen sind und doch eigentlich nur am College studieren gehen wollten, werden schlicht verraten.

Kimberly Peirce – und das ist der wesentliche Punkt, der Stop-Loss so überzeugend und eindringlich macht, – erzählt die Geschichte aus der Sicht der Soldaten. Ihr eigener Bruder hatte sich nach 9/11 freiwillig gemeldet „to get the people who had done this", und sie hat (wie sie im Making-of erzählt) hunderte von Gesprächen mit Soldaten geführt, um tatsächlich zu zeigen, wie sie empfinden und wie sie sich selbst sehen. Entstanden ist ein realistischer, herausragender und wichtiger Film, der all den Soldaten und ihrem Patriotismus in ihrer Hilflosigkeit eine Stimme gibt.

Stop-Loss ist neu und endlich auf DVD erschienen!

"Wenn Du nicht mit mir kämpfst und neben mir fällst - dann bist Du nicht mein Kamerad": Freundschaft geht über alles und löst bei Brandon in einen schrecklichen Gewissenskonflikt aus.

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