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25. Februar 2008, 18:26 Music Kultur

Der Idiot. Anfang des Romans @ Schauspielhaus

Robert Salzer - Niemand kann ihm böse sein. Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin spricht mit einem stets kindlichen Lachen im Gesicht und wirkt auch sonst nicht wie ein 26-Jähriger. Ohne seinen Ausweis zu zeigen, bekäme er heute kein Bier im Laden. Doch springen wir in die zweite Hälfte des 19...

Niemand kann ihm böse sein. Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin spricht mit einem stets kindlichen Lachen im Gesicht und wirkt auch sonst nicht wie ein 26-Jähriger. Ohne seinen Ausweis zu zeigen, bekäme er heute kein Bier im Laden. Doch springen wir in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, zu welcher Zeit das Stück spielt. Fürst Myschkin kommt gerade zurück aus der Schweiz, wo er sich einige Jahre gegen seine Epilepsieanfälle behandeln liess. Angekommen in Petersburg sucht er sofort seine einzige lebende Verwandte auf, die Frau des Generals Jepantschin, die eine geborene Myschkina ist und drei Töchter hat: Alexandra, Adelaida und Aglaja. Bevor er diese allerdings treffen kann, muss Myschkin vorbei am Kammerdiener, am Sekretär und nicht zuletzt am General Jepantschin selber. Doch der junge Fürst meistert die Aufgabe bravourös, erhält vom General sogar Geld und Unterkunft beim Sekretär und steht kurz daraufhin vor den edlen jungen Damen des Hauses. Nun beginnt eine Unterhaltung, bei der die meiste Zeit der Fürst spricht. Spätestens hier merkt man, dass das Stück eigentlich ein Roman ist und kein Schauspiel. Lange philosophische Monologe prägen ab hier das Werk von Fjodor Dostojewski, dessen „Idiot“ vom zweiten bis zum siebten Kapitel in diesen knapp zweieinhalb Stunden erzählt wird. Selten kommt beim Zuschauer Langeweile auf, spielt doch Jörg Pohl den kindlichen Fürsten mit einer Hingabe und einer Intensität, welche die Figur sofort sympathisch macht und der man gerne auch etwas länger zuhört. Der Fürst philosophiert über Gott und die Welt, beispielsweise über die Guillotine, welche er selbst in Lyon in Aktion gesehen hat. Dostojewskijs Gedanken, die durch Myschkin zum Ausdruck gebracht werden, sind sehr interessant. Weniger spannend ist hingegen die kleine Liebesgeschichte zwischen Aglaja und dem Sekretär, welcher den Fürst als Mittel zum Zweck einsetzen will.

Fürst Myschkin mit Alexandra, Adelaida und Aglaja sowie Mutter Jelisaweta und Kammerdiener Alexej

Der finnische Regisseur Alvis Hermanis setzt geschickt eine Erzählerin (Rita von Horvath, die dem Publikum bereits aus Schorsch Kameruns „Biologie der Angst“ bekannt ist) ein. Immer wenn die Darstellenden einen Textteil des Romans nicht spielen können, springt die Erzählerin in die Lücke und liest aus dem Buch vor. Es ist, als ob man das Buch selber lesen würde und die Fantasie auf der Bühne sichtbar wird. Die Bühne ist nämlich eine detailgetreue Kopie eines Hauses der damaligen Zeit. Weder der tote Bär am Boden, noch die vielen Portraits an den Wänden fehlen. Monika Pormale hat den Aufführungsort prächtig ausgeschmückt.

Wer das nötige Sitzfleisch für zwei Stunden Theater hat, dem sei „Der Idiot“ in der Schiffbauhalle 2 herzlich empfohlen!

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