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12. Oktober 2010, 23:53 Kolumnen

Shots no. 10: Die Badewanne am Meer

Dominik Mösching - Es war in einem kalter Winter in den Siebzigern gewesen, irgendwo im mittleren Westen der USA. Shara hielt inne und nahm einen kleinen Schluck Chai-Tee.

Sie mochte es, Geschichten zu erzählen; mit ihren dreiundsiebzig Jahren hatte sie auch schon einiges erlebt. So hatte sie etwa in Norwegen, Peru oder Thailand gearbeitet und mit Vierzig Nippon bereist, ohne ein Wort japanisch sprechen zu können. Sie hatte ihre recht harsche Kindheit auf einer gigantischen Rinderfarm in den Great Plains verbracht und vor zwanzig Jahren ein Stück Land auf der Insel Galiano gekauft, welche die Ansammlung von Eilanden in der Georgia Strait vor Vancouver wie eine Klammer abschliesst.

Zusammen mit ihrem Lebenspartner Chidakash baute sie hier in Eigenregie ein Haus an der Küste. Das Kreativfeuerwerk ohne rechte Winkel dient mittlerweile nicht nur als Zuhause, Kunstgalerie und Arbeitsplatz für WWOOFer wie mich, sondern auch als Refugium für angespannte Städter – Shara und Chidakash verdienen sich mit den zwei Gästestudios etwas zur bescheidenen Rente hinzu. Spektakuläres Highlight ist aber die Badewanne an der Klippe. Genau deren Geschichte war es, die Shara mir erzählte.

Damals in den Siebzigern lebte sie also im mittleren Westen und baute ein Haus, zum ersten Mal. Der Ofen war noch improvisiert, jedoch bereits in regem Gebrauch. Angesichts des Präriewinters, dessen schneidender Wind Hände frieren, Gesichter einfallen und Menschen verbittern lässt, war das auch dringend nötig. Eines Abends wurde es kalt. Zu kalt. Sie sah nach dem Feuer. Es war aus, doch sie konnte brennendes Holz riechen. Sie blickte hoch. Zwischen den Balken sah sie im Dachstock die Flammen tanzen. Sie stürzte mit ihrem Sohn ins Freie. Für alles andere war es zu spät. Für fast alles: Die Badewanne und der Heisswasserboiler warteten vor dem Haus noch auf ihren Einbau.

Am Brand schuld war nicht der Ofen, sondern eine Lesekerze, die ihr Sohn vergessen hatte auszublasen. Doch das Warum war jetzt unerheblich. Es blieb eisig. Am nächsten Tag schlossen sie den Boiler an die Wasserleitung an und hockten in die Wanne. Für einen Moment war alles gut. Von nun an war das Erste, was Shara jeweils in einer neuen Bleibe installierte, eine Freiluftbadewanne. So kam es auch zu derjenigen auf Galiano. Sie hilft den angespannten Gästen aus der Stadt vielleicht, sich den Schwelbränden ihres Lebens bewusst zu werden und sie auszumachen, bevor Schlimmeres geschieht.

Na gut, der Schluss war jetzt etwas esoterisch. Aber die Idee dahinter fand ich schön, vorher in der Badewanne.

Die Badewanne gegen Schwelbrände des Lebens.

Kreativfeuerwerk ohne rechte Winkel: Sharas und Chidakashs Serenity by the Sea.

Bisherige Shots From the Road findest du hier.

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