Shots no. 11: Neulich im Bus nach Seattle
Dominik Mösching - „Endlich nach Hause“, entfuhr es ihm ungefähr so laut wie beabsichtigt, als er sich selbstzufrieden in den Sitz sinken liess. Er wartete auf eine Reaktion der anderen Passagiere.
Peggy Bundy belohnte ihn mit einem aufgestellten Glucksen und schob ein langgezogenes „Wow!“ hintennach. „Wissen Sie was?“, dozierte er, „Zuhause arbeite ich zwei Tage und habe die 400 Dollar für Wohnung und Essen pro Monat schon zusammen. Vietnam, ein Wahnsinnsland!“ Nach einem weiteren „Wow“ dachte die Fahrerin einen Moment nach und fragte neugierig: „Was verdienen die dort denn so im Durchschnitt?“ Er guckte wichtig. „400 Dollar pro Jahr.“
Peggys Gesichtsausdruck veränderte sich schnell. So schnell, wie ich ihr das nicht zugetraut hätte. Sie schaltete den Plaudermodus aus und stellte merklich ernster fest: „Dann verdienen Sie ja fast 200 Mal so viel wie der Durchschnitt.“ Der Bus wartete auf eine Antwort, und dem Herrn schwante plötzlich, in welcher argumentativen Situation er sich befand: In der Defensive. „Wissen Sie, ich bin Englischlehrer“, versuchte er es. „Ich gebe den Menschen dort die Möglichkeit, ihr Land zu verlassen. Um eine Chance zu kriegen und ihre Träume zu verwirklichen. Dafür lassen die gern etwas springen.“ – „Aber“, fragte Peggy unschuldig, „gefällt es denen denn in ihrem Wahnsinnsland nicht?“ – „Nun...keine Ahnung, warum die alle weg wollen.“ Er schüttelte den Kopf. Er wiederholte den Satz etwas leiser, nestelte an seiner Laptoptasche herum und guckte hilfesuchend nach draussen, als ob er sich überlegte, gleich wieder auszusteigen.
Er blieb und schwieg die ganze Busfahrt zerknirscht. Wir genossen die Aussicht und Peggy war unsere Heldin.
Seattle I: Diese Vorschriften immer. Ob die Krähe ans Weggehen denkt?
Seattle II: No Future, bellen die Rebellen.
Seattle III: Es geht abwärts. Hier im Public Market.
Seattle IV: Kurt Cobains letztes Haus, und die Sonne scheint.
Bisherige Shots From the Road findest du hier.