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23. November 2010, 06:06 Kolumnen

Shots no. 15: Argentinische Spaziergänge

Dominik Mösching - 2,7 Millionen Einwohner im Zentrum, über 12 Millionen im Grossraum – Buenos Aires ist die drittgrösste Metropole in Lateinamerika. Machen wir einen Spaziergang.

Es ist immer dasselbe Ritual: Kaum in einer Stadt, widme ich den ersten Tag vollends einer Disziplin namens Ausdauerspazieren. Von morgens früh bis abends spät lasse ich mich durch Haupt- und Quartierstrassen, Gassen und Wege treiben und versuche eine erste Annäherung an den Mood einer Stadt. (Für diesen Anglizismus gibt es kaum ein treffenderes deutsches Pendant. Vielleicht ein Spanisches, wer weiss? Aber das Büffeln von irregulären Verbformen versperrt mir noch den Blick auf allzu bedeutungsschwangere Vokabeln.) Wie sehen die Leute auf den Trottoirs aus? Welche Kleider tragen sie? Was steht in ihren Gesichtern? Was steht in den Schaufenstern, auf den Reklametafeln und in den Zeitungen? Ist das Café an der Ecke gemütlich? Und wie schmeckt das lokale Bier?

Da Buenos Aires nach Mexiko-Stadt und São Paulo den drittgrössten Ballungsraum südlich des Limes zwischen Arizona und Mexiko darstellt, verteilte ich meine Ausdauerspazier-Sessions auf mehr als einen Tag. Schliesslich habe ich keinen Zeitdruck, ich bin ja noch ein bisschen hier. Am ersten Tag erkundete ich das Microcentro, das südeuropäisch wirkende Tangoviertel San Telmo, die repräsentativen Bauten des Staates und das Trendviertel Palermo. Am zweiten Tag schlenderte ich durch Recoleta, wo die Mittel- und Oberklasse wohnt, und besuchte Parks und Märkte. Die nächsten Streifzüge führten mich ins neureiche Puerto Madero, ins ärmliche La Boca mit dem farbigen Touristenmagnet El Caminito sowie an die Feria de Mataderos, einen sonntäglichen Markt in einem Aussenquartier.

Und der Mood von Buenos Aires? Spannend in allen Facetten des Wortes. Es gibt viel Schönes, und die Porteños – so der Name der Bewohner der Stadt – sind stolz darauf. Offenbar so sehr, dass sie unter ihren Latino-Cousins als arrogant gelten. Und doch verdecken die blendenden Fassaden die Risse dahinter nur unzulänglich. Diejenigen von Gebäuden werden offenbar, sobald die wunderschönen Farben abzublättern beginnen, und die Gräben zwischen Arm und Reich klaffen hier und da irritierend offen. Subtiler ist die Spannung zwischen europäischem Selbstverständnis und südamerikanischer Improvisation. Nicht nur in der nationalen Psyche, sondern auch ganz alltäglich: Die Stadt sieht aus wie Paris, Rom oder Madrid, und gleichzeitig ziehen Nachts die Cartoñeros um die Häuser. Sie schlitzen stundenlang Kehrichtsäcke auf, bringen Kartons, Plastik und Leergut mit ihren Leiterwagen zu den Sammelstellen, verdienen sich so ein paar Pesos und erledigen nebenbei die Abfalltrennung.

Dagegen bin ich wirklich ein Spaziergänger. In allen Facetten des Wortes.

Eine kleine Pause: Bank und Farben am Caminito, La Boca.

Zwar kein lokales, dafür aber das nationale Bier vor dem Palacio de Congreso de Buenos Aires.

Buenos Aires zwischen modern (Floralis Generica, Recoleta)...

...und traditionell (stolze Tanzende, Feria de Mataderos).

Maultier mit Leiterwagen: Wenn spazieren Zwang ist.

Bisherige Shots From the Road findest du hier.

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