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19. Juni 2007, 00:00 Movie

Irina Palm

Christina Ruloff - Von der Hausfrau zur „wanking widow“ im Sexlokal: Eine umwerfende Marianne Faithful überwindet in der Not Scham und Angst und entwickelt sich zu einer Persönlichkeit. Ein wunderschönes, modernes Märchen! Marianne Faithful besichtigt ihren neuen Arbeitsort, vernünftig und...

Von der Hausfrau zur „wanking widow“ im Sexlokal: Eine umwerfende Marianne Faithful überwindet in der Not Scham und Angst und entwickelt sich zu einer Persönlichkeit. Ein wunderschönes, modernes Märchen!

Marianne Faithful besichtigt ihren neuen Arbeitsort, vernünftig und pragmatisch.

Maggies (Marianne Faithful) Enkel ist totkrank und allein eine Behandlung in Australien kann sein Leben noch retten. Die beiden Eltern, Maggies Sohn und seine Frau, sind zermürbt und entsetzlich verzweifelt, weil sie genau wissen, dass sie das notwendige Geld nicht auftreiben können.

6000 Pfund sind für eine englische Mittelstandsfamilie ein Vermögen, insbesondere wenn sie schon ihre gesamten Ersparnisse in Ärzte und Krankenhäuser investiert und sich dabei tief verschuldet haben.

Maggie selbst hat als einzige noch nicht aufgegeben – ihr Enkel, ihr Ein und Alles muss überleben. Sie hat bereits ihr Haus verkauft, sie würde gerne arbeiten, irgendwie Geld verdienen, nur findet sie keine Stelle. „Eine Frau in Ihrem Alter, die nichts gelernt hat, ist ein hoffnungsloser Fall!“, erklärt der junge, schnöselhafte Mann von der Arbeitsvermittlung.

Da entdeckt sie in Soho einen Aushang „Hostesse gesucht – gute Bezahlung“ und fragt prompt nach. Der amüsierte Geschäftsführer von „Sexy World“ Mikki (Miki Manojlovic) klärt sie über die Tätigkeit hinter dem Euphemismus „Hostesse“ auf.

Er schockiert Maggie gewaltig – und bietet ihr wegen ihrer zarten Hände einen Job an. Maggie flieht entsetzt und angeekelt aus dem Laden, überwindet sich aber für ihren Enkel und wird als „wanking widow“ unter dem Pseudonym „Irina Palm“ berühmt... was solange gut geht, bis ihr Umfeld hinter ihre Geldquelle kommt.

'Zeigt her eure Hände!' Mikki klärt Maggie über Euphemismen auf... und bietet ihr einen Job an.

„Arglose Mittelklassefrau befriedigt Männer im Sexmilieu um ihren Enkel zu retten“, könnte eine Zusammenfassung zu Irina Palm lauten. Sie hätte aber mit Sam Garbarskis wunderbarem Film ebenso wenig zu tun, wie die ewige Überschrift „Englisches Feelgood Movie“.

Denn dieses England ist nicht von den üblichen provinziell kauzigen, aber liebenswerten Hinterwäldlern bevölkert und besteht auch nicht aus den putzig-pittoresken Dörfern einer Jane Austen. Es ist eine kalte, graue und schrecklich ungerechte Welt, in der gesellschaftliche Missstände gepaart mit sozialem Terror und unmenschlicher Gleichgültigkeit herrschen.

Augen zu und durch: Maggie bei der Arbeit.

Die Heldin Maggie ist denn auch kein hässliches Aschenputtel, das immer schöner wird, sondern eine ganz gewöhnliche Person. Ihre Wohnung ist bieder eingerichtet, ihre Kleidung dermassen alt und schäbig, dass man nicht einmal von Retro-Schick sprechen könnte, sie schlurft schwer durch die Strassen, ist sie doch nicht mehr die Jüngste.

Das bisschen Selbstachtung, das der vom Leben eingeschüchterten Frau geblieben ist, die sogenannte Würde kann sie sich in ihrer Situation nicht leisten. Sie überwindet daher ihren nur nachvollziehbaren Ekel, ihre Scham und ihre Angst – und entdeckt ein neues Selbstwertgefühl, weil sie zum ersten Mal in ihren Leben Anerkennung kriegt. Berufliche Anerkennung für ihre sehr erfolgreiche Arbeit und persönliche Wertschätzung für ihren Mut, ihre Entschlossenheit und den kleinen und doch ungeheuren Wandel, den sie durchmacht.

Marianne Faithful war bislang „nur“ als Popikone berühmt; in ihren bisherigen Filmen spielte sie vor allem sich selbst, die coole Person und das Sexhäschen. Hier ist sie aber einfach wunderbar – schäbig, naiv, hartnäckig und vor allem grundanständig und menschlich.

Wenn der grosse serbische Schauspieler Miki Manojlovic im Film sagt, er möge ihren Gang, wissen wir, dass er beeindruckt ist, zu Recht. Und wenn die beiden sich dann auf eine Art anschauen, wie es im Kino nur ganz, ganz selten passiert, und das melancholisch schöne Score von Ghinzu ertönt, gönnt man ihr dieses ganz unwahrscheinlich glückliche Ende.

Es ist der Lichtblick in diesem düsteren und umwerfenden Film von Sam Garbarski, der von der absurden und zum Teil humorvollen Story übers Casting bishin zur hervorragenden Kamera- und Lichtführung einfach alles richtig gemacht hat. Entstanden ist ein modernes Märchen!

Bewertung: 5 von 5

) als interessierter Geschäftsführer, für einmal nicht am Nintendo-Gamen.

Originaltitel: Irina Palm

Land: GB, BE, F

Genre: Tragikomödie

Dauer: 103 Minuten

Regie: Sam Garbarski

Darsteller: Marianne Faithful, Miki Manojlovic, Kevin Bishop

Verleih: Filmcoopi

Kinostart: 21.6.2007

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